Es ist immer heikel, in einer aufgeheizten Stimmung über lokale Schulentwicklungsplanung, bevorstehende oder geplante Schulschließungen zu berichten. In diesem Falle hat wohl ganz Sachsen-Anhalt vom Schulstreit innerhalb der Einheitsgemeinde Gerbstedt Kenntnis. In der Zwischenzeit könnte man ein Buch dazu schreiben. Um die Dimension dieses Skandales zu erfassen, wird hier im Zeitraffer nochmals zusammengefasst. Der Bericht wird umfangreich und ist gleichzeitig Lehrstück für viele andere Standorte, welche sich schon heute oder in naher Zukunft mit denselben Problemen beschäftigen müssen. Die Methode ist immer dieselbe....
Stadtrat Gerbstedt:
- Nach monatelangem Hin und Her beschließt der Stadtrat im Oktober 2019 die Schließung der Grundschule Siersleben auf das Schuljahr 2020/21 und die Schließung der Schule Heiligenthal für das Schuljahr 2022/23.
- Dem Stadtrat wurden von der Verwaltung Unterlagen in Sachen Investitionsbedarf der einzelnen Standorte vorgelegt, von denen sich heute sagen lässt, dass sie nicht nur lückenhaft, sondern offensichtlich fehlerhaft tendenziös erstellt worden waren. (energetische Sanierung in Siersleben mit über 700 000 € veranschlagt, Feuerschutz mit über 100 000 €, während für den zukünftigen Standort derartige Investitionen offenbar nicht budgetiert wurden, obwohl in genau so desolatem Zustand und wie sich jetzt heraus stellt, offenbar noch schlimmer.)
- Fazit: Die Unterlagen, welche dem Stadtrat zum Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegt wurden, entsprachen NICHT den Vorgaben für eine vergleichende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung nach LHO §7, was aber zwingend vorgeschrieben ist. Somit ist der gefällte Beschluss alleine unter diesem Aspekt bereits mehr als fragwürdig.
- Trotzdem wurde trotz mahnender Stimmen weiter auf Schließung der Schule Siersleben hingearbeitet.
- Anlässlich der Bürgermeisterwahl im Februar 2020 wurde die CDU, welche bislang mit satter Mehrheit die Geschicke der Gemeinde bestimmt hatte, zurückgebunden und der unbhängige Kandidat Bernd Hartwig wurde neuer Bürgermeister. Angetreten, mit dem Versprechen, die Schulstandorte halten zu wollen, landete er da in einem Wespennest.
- Die Stadtverwaltung bereitete ungeachtet unbeantworteter Fragen und laufender Rechtsverfahren unbeirrt den Umzug der Sierslebener nach Gerbstedt vor. Vom Gericht angeforderte Unterlagen werden mit Verspätung eingereicht. Die Verwaltung weiß aber bereits , dass im damaligen Beschluss auch formal Fehler begangen wurden. So kommt es, dass EINEN TAG vor Beginn des neuen Schuljahres der Gerichtsentscheid reinflattert, wonach die Sierslebener weiterhin in ihrer Schule zu unterrichten seien... Mangels Plan B große Verwirrung
- Die Bürgerinitiative überbrückt die Personallücke, indem sie sofort ein Hygienekonzept erabreitet und Lehrer im Ruhestand aktiviert.. und kann damit verhindern, dass Kinder "mangels" Personal nach Gerbstedt müssen.
Bürgerinitiative:
Eine bereits im März 2019 gegründete Bürgerinitiative aus Siersleben versuchte, die sich abzeichnende Schließung mit allen demokratischen Mitteln zu verhindern:
- Es wurde auf die Nichtvergleichbarkeit der Investitionsbedarfe für die einzelnen Schulen hingewiesen.
- Die Bürgerinitiative startete ein Bürgerbegehren, sammelte an die 2000 Unterschriften mit welchen über eine kommunale Abstimmung über die Zukunft der drei Gerbstedter Schulen abgestimmt hätte werden sollen. Begründet wurde die Initiative mit dem Argument, dass der damalige Stadtrat nicht alle Alternativen zum Erhalt der Schulen formal und dokumentiert ergriffen und geprüft hätte. (gemeindeübergreifende Beschulung, Pilotversuch Schulverbund mit 3 kleinen Schulen, problematischer Kostenvergleich der drei Standorte)
- Diese Initiative wurde mit der Begründung, es würden hier zwei Entscheidungsebenen vermengt, abgelehnt! Lächerlich!!! WER schließt denn einen Schulstandort? WER prüft und beschließt denn die Alternativen auf Grund der Möglichkeiten und Spielräume, welche die SEPL gibt? Ganz klar die Standortgemeinde!! Dieses Begehren war absolut rechtens...
- Die Bürgerinitiave wies mehrmals auf schlummernde Altlasten am Standort Gerbstedt hin, verlangte Raumluftgutachten, erreichte, dass eine Firma eine solche Begehung machen durfte, welche unmittelbar darauf hinwies - alle Räume müssten untersucht werden. Auszug aus der Einschätzung von Medical Airport Service:
- Eine solche Untersuchung fand statt, allerdings nur für zwei Nebenräume und brachte grenzwertige Ergebnisse, auch wenn der Landkreis dies sprachlich verschwurbelt wegzureden versuchte. Und wie bereits gesagt: Andere Räume wurden NICHT untersucht!
- Der Brief, der von der Bürgerinitiative als Antwort auf obiges Schreiben verfasst wurde, zeugt von einer hohen Sachkompetenz und zeigt die wirklichen Probleme im Bereiche Raumluft/Gesundheitsgefährdung des Standortes Gerbstedt auf, von denen bislang niemand was wissen wollte. Doch auch die Begehung der Schule Gerbstedt durch das Landesamt für Verbaucherschutz hatte es in sich. Insbesondere die Punkte 17 und 20, sowie der anschließende Hinweis. (!!!!)
...dazu kommt nun die Landespolitik
..und jetzt wird es völlig grotesk. Erläuternd dazu muss gesagt werden: Obwohl der Bürgermeister parteilos ist, werden die Geschehnisse im Stadtrat weiterhin von der CDU mit 9 von 18 Sitzen bestimmt. Man "beruft" sich dann auf Auskünfte von Parteifreunden im Landtag, "neueste Infos" aus dem ebenfalls CDU-geführten Bildungsministerium, holt sich auch mal über den Kopf des Bürgermeisters hinweg die Staatssekretärin, dies in der Hoffnung, die lästige Bürgerbewegung endlich ruhig zu stellen, die öffentliche Meinung zu dominieren. Dass dabei der Schuss auch für eine Staatssekretärin gewaltig nach hinten los gehen kann und das alles als Parteigeschichte demaskiert wird, zeigt die folgende Video-Sequenz, genau zuhören - da macht eine Partei ihre eigenen Regeln!!!. Gerade hier wird außerdem durch die Aussage der Staatssekretärin bestätigt, dass die Gemeinde und einzig und allein die Gemeinde Schließungsbeschlüsse fällt.... das Bürgerbegehren also völlig rechtens war.
Das nächste Fiasko erlebt Bildungsminister Tullner in einer Befragung im Landtag vom 09.09.2020, als er während einer vollen Stunde wie eine tibetanische Gebetsmühle, den Gerichtsbeschluss ignorierend, betont, keine Lehrkräfte nach Siersleben zu schicken. Stattdessen ist er bemüht. den Bürgermeister von Gerbstedt (zur Erinnerung: ein halbes Jahr NACH Schließungsbeschluss ins Amt gewählt und für die gesamte schulbauliche Misere in keiner Art und Weise verantwortlich!!) als Sündenbock an den Pranger zu stellen. Also nicht den seit Jahren amtierenden und zurückgetretenen Bürgermeister und die damalige CDU-Stadtratsmehrheit. Die Drohung des Verwaltungsgerichtes mit Verhängung von Zwangsgeld bewirkte dann doch ein Einlenken des Landesschulamtes am selben Tag. Nicht durch Tullner, sondern einen Vertreter des Landesschulamtes.. In allen weiteren Sachfragen stellte sich der Minister ahnungslos, obwohl es ja seine Staatssekretärin war, die in diesem ganzen Parteispielchen mitmachte.... Was für eine Posse auf dem Buckel von Bürgern und vor allem Kindern....
....mit der Brechstange
Nachdem gerichtlich und politisch also NICHT gegen diese Bürgerinitiative anzukommen war, diese im Gegenteil in eine immer stärkere Sach-/Fach-Position gerät, folgt nun der nächste Auftritt.
Landesschulamt: 1. Klässler müssen ab 5. Oktober nach Gerbstedt, Zwangsanordnung. Richtig, zu wenige Schüler für eine Einschulungsklasse. Ebenso richtig: 4 oder 5 Elternpaare haben angesichts der desolaten Rechtslage ihre Kinder für dieses Jahr andernorts angemeldet. Es wären also 13 Kinder und in den Folgejahren sind genügend Einschüler. Zeit also, dass der neue Bürgermeister endlich DAS machen kann, was schon längst hätte getan werden müssen: Eine vernünftige Schulplanung in Absprache auch mit Eisleben, was gemeindeübergreifende Beschulung betrifft; Pilotversuch Schulverbund mit drei kleinen Schulen. Dafür braucht er Zeit bis mindestens März. Grund genug für eine Ausnahmegenehmigung. Was andernorts funktioniert, wird hier abgelehnt. Wo andernorts 1./2. Klasse in einer solchen Situation zusammengelegt werden und somit in Sachen Lehrerstundenzuweiseung eine Ausnahmebewilligung gerechtfertigt wird, kommt hier nur NJET. Machtdemonstration.
Damit wird natürlich versucht, die Schule in eine auslaufende Beschulung zu drängen, denn mit dem Fehlen von 8 Kindern ist auch die Mindestschülerzahl krass unterschritten, soll die Schule geschlossen werden.
..und wieder ist die Förderkulisse Ursache für dieses ganze Theater
Die Einheitsgemeinde Gerbstedt ist finanziell ausgepresst. Aus eigenen Mitteln irgendwelche öffentliche Bauvorhaben wie Schulsanierungen zu stemmen, ist unmöglich. Nicht mal die Freibäder konnten dieses Jahr öffnen... Die aktuelle (und die zukünftige!!) Förderkulisse favorisiert weiterhin Grundschul-Projekte, welche im Grunde genommen auf Zweizügigkeit basieren. Nachweis von mindestens 100 Schülern 15 Jahre nach Projektabschluss, dies bei abnehmenden Schülerzahl. Grundvoraussetzung, um überhaupt an eine solche Förderung zu kommen. Keine der drei Gerbstedter Schulen erfüllt diese Voraussetzungen mittelfristig..
Betrachtet man nun die Situation am Standort Gerbstedt, so warten wir vom Bündnis gespannt auf DEN Fachmann, der tatsächlich eine Totalsanierung des problematischen Schulstandortes, eine Komplettsanierung der maroden und nicht den Normen entsprechenden Turnhalle empfiehlt. Ein Millionengrab. Nein, hier wird das Thema Ersatzneubau auf den Tisch kommen, alles Andere wäre Unfug.
Weitere Schulschließungen bereits fest programmiert - aber erst nach den Landtagswahlen
...und genau DAS ist doch aktuell DAS Thema verschiedener CDU-geführter Stadtverwaltungen. Aus 3 Schulen machen wir 1 Schule/Gemeinde, das reicht und dafür wird es Geld geben.... sagen die CDU-Politiker, ohne den Topf genauer zu benennen... Oder wird mit diesen Geldern jongliert? Das wäre dann politisch hochproblematisch. Genau so in der Stadt Seeland, den Verbandsgemeinden Flechtingen und Saale Wipper.. ..und hier weitere Schließungs- und Planungsgeschichten.
Unschwer zu erkennen: Weder Förderrichtlinie noch SEPL-VO passen in den ländlichen Raum. Nicht umsetzbar! Hiermit werden Dutzende von weiteren Schulschließungen erzwungen. Schulverbünde in der aktuellen Form sind KEIN Rettungsanker, sondern der Beginn der Schulschließung.
Zählen wir also zusammen: Alleine in dieser kleinen Region stehen in den kommenden 5 - 7 Jahren 8 Grundschulen vor der Schließung. Eigentlich alles schon beschlossen. Es sei denn, es kommt eine Bürgerinitiative und nimmt ihre demokratischen Rechte wahr.
Die Sache mit der Wahrnehmung von Bürgerrechten
WIE mühsam und frustrierend das sein kann, zeigt das Beispiel Gerbstedt. Der Aufruf von Institutionen wie Landeszentrale für politische Bildung, seine demokratischen Rechte wahrzunehmen, sich zu engagieren, verkommt an diesem Beispiel zu einem üblen Scherz. Zuerst müssten mal Behörden dahin gehend geschult werden, dass politische Initiativen völlig normal sind, eine Ergänzung oder Bereicherung darstellen und nicht eine lästige Plage, welche verhindert oder bekämpft werden muss.
Im Weiteren stellt sich schon die Frage, inwiefern Verwaltungen bei offensichtlicher Untätigkeit, welcher nur auf dem Rechtsweg begegnet werden kann, ungeschoren davon kommen, währenddem Bürgerinitiativen erhebliche Geldmittel aufzubringen haben, um überhaupt den Rechtsweg beschreiten zu können. Da beginnt bereits eine Ungerechtigkeit in diesem System! Es geht auch nicht an, dass Amtshilfe verweigert wird, einzelne Protagonisten verunglimpft werden, zumal diese sich offensichtlich rechtlich auf der sicheren Seite bewegen. Das ist dann nur noch schlechter Stil...
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