Wir befassen uns heute mit den Räumen in welchen Kinder und Jugendliche im Alter von 6 - 16 mehr als die Hälfte ihres Lebens verbringen. Es sind zwei Punkte, welche im Vordergrund stehen: Nutzung des Raumes und Möblierung. Der Titel deutet es schon an, hier geht es um die Nutzung. Das Bild links zeigt ein Klassenzimmer um 1900 herum. Der dazugehörige Beitrag ist sehr lesenswert. Schule um 1900 eben. "Und auch aus diesen Jungs und Mädchen ist was geworden", höre ich bereits. Ja, das ist so.
Das Bild rechts oben und die Bilder dieses Abschnittes zeigen Klassenzimmer von heute. In den meisten Grundschulen sehen wir nach wie vor die klassische Bestuhlung und sie besagt etwas: Gängigste Unterrichtsmethodik ist Frontalunterricht. Dies wiederum bedeutet für die Schüler: Viel sitzen, viel zuhören, wenig Eigenaktivität und Bewegung. Ja, es gibt auch andere Klassenraumbestuhlungen, sie sind lobend zu erwähnen, denn sie machen auf den ersten Blick klar, dass Unterricht in diesem Raum anders abläuft.
Auszug aus einem Vortrag für Lehrkräfte und Schulbehörden
....Wir können das Klassenzimmer auf zwei Arten definieren:
- Die Hülle, der Raum, in welchem Lernen stattfindet. Austauschbar und gemessen an der Vorgabe, dass hier bis zu 30 Schüler Platz haben müssen. Das erinnert in seiner Vorgabe an das Bild aus dem Jahre 1900.
- Als Raum, welcher den Schülern abwechslungsreiches Lernen, Üben ermöglicht. Als Raum, welcher verschiedenste methodische Maßnahmen gleichzeitig zulässt und damit die Rolle der Lehrkraft weg vom Klassenmittelpunkt und Dompteur hin zum Berater/Coach verändert. Damit werden wir uns befassen.
- Ziel für die Schüler: Möglichst viel eigenes Handeln, Erfahren, Gestalten, Redeanteile erhöhen (selbst sprechen, sich selbst einbringen) , um damit die eigentliche Übungszeit massiv zu reduzieren. Aufbrechen des 45-Minuten-Sitzens durch kürzere Lehr- und Lerneinheiten und Bewegung. Ein 90-Minuten-Block an Arbeitsstationen ist bedeutend kurzweiliger als eine 45 -Minuten-Lektion im Frontalunterricht - für alle Beteiligten.
- Ziel für die Lehrkraft: Dank guter Unterrichtsorganisation schwerpunktzentriert und/oder individualisierend arbeiten , wissend und sehend, dass an den anderen Stationen sehr wohl gearbeitet wird. (Nebeneffekt: Die Lehrperson arbeitet unter diesen Rahmenbedingungen deutlich entspannter und effizienter.) Und noch etwas: Verordnete Stillbeschäftigung in Übungsphasen mit einem einheitlichen Arbeitsauftrag für die ganze Klasse gibt es nicht mehr. Dazu ist die Unterrichtszeit zu kostbar.
Wesentliches Element für diese Transformation der klassischen Lehrerrolle sind feste Arbeits- und Übungsstationen/-posten, auf welche in den verschiedensten Fächern dauernd zugegriffen werden kann. Einige seien aufgezählt:
- Ausreichend Ablageflächen. Genutzt für: Kleine Gruppenarbeiten/ für Arbeitsmaterialien der Gruppen, an denen später weiter gearbeitet wird, für Einzelarbeiten, für Einzeltraining oder Partnerarbeiten.
- Ein freier Gruppentisch für bis zu 6 Personen. Genutzt für: Geführte Trainings durch Lehrkraft im Bereich Leistungsdifferenzierung, Spezialaufträge, Fachspezifische Intensiv-Trainingseinheiten.
- PC-Station. Optimalerweise 4 PC-s bei Klassengrößen bis max. 24 Kinder, welche einzeln, aber auch von zwei Schülern besetzt werden können. Täglich genutzt für: Lernspiele/Training (mit Erfolgskontrolle) alleine oder zu zweit, Schreibwerkstatt, Schülerzeitung oder Wochenbericht, Rechtschreibekontrollen und Mathetrainings, Entdecken forschen usw. usw.
- Wandtafel - (Digitaltafel ist kein Ersatz sondern lediglich Ergänzung*). Anwendung: Klassische Wandtafel ist eine ideale Übungsstation, an welcher bis zu 6 Schüler mit gezielten Aufgaben beschäftigt werden können. Ergebnisse sind nachher für ganze Klasse sicht- und nachvollziehbar. Bilder, Plakate, auch Zeichnungen etc. können problemlos aufgehängt und besprochen werden. * Digitale Tafel beschäftigt einige Wenige und will betreut sein. Viele Dinge - gerade im Einführungs- Lehrbereich, also in geführten Lektionen lassen sich genau so effizient über PC-Beamer-Leinwand/Board präsentieren, wenn man keine Wandtafeldarstellung mehr wünscht.
- Freifläche: a) im Klassenzimmer:Hier kann man mal im Kreis zusammensitzen, Legespiele, Geschicklicheitsspiele, Theaterrollen oder Rollenspiele, Plakate oder Wandzeitung gestalten usw. usw. b)wo vorhanden Frei-Grünfläche vor dem Klassenzimmer, (ebenerdig und visuell kontrollierbar) nutzen: Konkrete Arbeitsaufträge für Gruppen im Bereiche Übungsphasen oder Projekte.
- "Schülerecke": Durch Kinder selbst eingerichtet, Sofas oder Matratzen, Relax-Zone, wo man auch mal nix tun darf, oder als Leseecke nutzen. "Wochenstundenanspruch"/Kind definieren.
- Stauraum: Je mehr Schulmaterial im Klassenzimmer durch die Schüler selbst greifbar ist, um so vielfältiger werden die Angebote im Klassenzimmer.
Unterrichtsorganisation: Wochenplan/Individualisierter und fortzuschreibender Lehrplan, Werkstattunterricht, persönliches Lernheft mit allen Arbeitsaufträgen. Klar geführter Unterricht bei Einführungslektionen.
Klassenzimmer: Idealerweise Größe zwischen 60 und 75 m2 bei max. 24 Schülern.
Frage: Wir haben Zimmergrößen zwischen 50 und 55 m2. Wie kriegen wir das hin? Können Sie das mal runterbrechen?
Antwort: Mit kleineren Klassen, z.B. 16 Schülern. Ansonsten: Vergessen Sie alles, was ich gesagt habe.
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Natürlich muss auch diese Verallgemeinerung korrigiert werden. Ja, es gibt Lehrkräfte, welche diesen Spagat versuchen. Teilweise erfolgreich, aber auch mit einer gehörigen Portion Frust verbunden. Sie haben die Wirksamkeit der Funktion Lerncoach im Vergleich zum "Alleinunterhalter" erkannt und verzweifeln oft daran, dass sie diese tollen Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen können.
Unsere Lehrkräfte arbeiten heute unter Schulraumverordnungen mit m2/Schüler-Vorgaben, welche sich so gut wie NICHT von den Bedingungen um 1900 herum unterscheiden. Daran ändert auch das Digitale Klassenzimmer nichts! Daneben machen sich die jungen Lehrkräfte an Fachhochschulen und Unis fit für den Lehrerberuf, lernen Lehrmethoden kennen und stellen während des Referendats fest, dass sich das Gelernte in der Praxis so gut wie nicht umsetzen lässt. Das ist bedauerlich und sollte als Appell an Politiker und Architekten verstanden werden.
Politik und Gesellschaft fordern Bildung auf hohem Niveau nach Standards des 21. Jahrhunderts. Zur Verfügung stehen jedoch "Klassenräume", also die "Produktion", welche nach Kriterien aus dem späten 19. Jahrhundert konzipiert wurden und weiterhin werden, wenn wir mal von W-LAN, Fassadendämmung, Feurschutz und Rollstuhlgängigkeit absehen.
Bis Klassenräume sich in Lernräume wie diese hier verwandeln, dürften noch Jahrzehnte vergehen. In Österreich wird zumindest ernsthaft darüber diskutiert, wie man dahin gelangen könnte. Toll, wenn dies auch in Sachsen-Anhalt, in Deutschland generell aufgegriffen wird.
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