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Digitale Bildung - wieder ein Politikerspielzeug ?

Das neue Schuljahr hat kaum richtig begonnen, die Bundestagswahl naht und so verwundert es nicht, dass sich Parteivertreter und Kandidaten in diesen Tagen mit "Zukunftsprojekten" für eine gute Schule überbieten. Zwei viel aktuellere Themen werden ausgeblendet: 


  1.  Wie ist es möglich, dass eine Kultusministerkonferenz und daran geknüpft die Landesregierungen es bundesweit schlichtweg verschlafen haben, rechtzeitig auf die sich abzeichnende Pensionierungswelle ihres Lehrkörpers zu reagieren - ein Thema, welches rein grafisch seit immer bekannt ist. Sachsen-Anhalt benötigt mindestens 6 Jahre, um aus diesem Loch herauszukommen!
  2. Wie kann es passieren, dass die Kultusministerkonferenz im Jahre 2013, auf teilweise völlig veraltetetem Zahlenmaterial aufbauend, ein Schülerbestands- und Lehrerbedarfs-Szenario entwirft, welches 4 Jahre später  pünktlich zum Schuljahresbeginn durch die Bertelsmann-Stiftung um satte 15% nach oben geschraubt wird? Wie kann das sein, zumal es seit 2013 bundesweit an mahnenden Stimmen aus Kommunen und Verbänden NICHT gefehlt hat, welche diese Berechnungen als realitätsfremd bezeichnet haben?
Solche krassen Fehlleistungen haben in der Privatwirtschaft personelle Konsequenzen. Hier handelt es sich "lediglich" um ein politisches Versagen, dessen Folgen dafür von einer ganzen Schülergeneration auszubaden sind. Es ist zugleich ein Hinweis darauf, dass Schulentwicklungsplanung und Personalplanung im Lehr- und Betreuungsbereich viel näher an die Kommunen ranrücken muss, will man am Puls der Zeit reagieren können. Die beiden Beispiele sind Protokolle des Totalversagens zentralistisch geprägter Entscheidungsstrukturen und -vorgaben, welche technokratisch und realitätsfremder nicht sein könnten.

Schwamm drüber! Ein neues Spielzeug bitte! Digitale Bildung!

Bundesweit wird nun geflickt, gewurstelt, Wahlkampf gemacht. Wieder einmal hat es Bildung geschafft, zentrales Thema vor einer Bundestagswahl zu werden.,  bevor es dann wohl wieder in der Versenkung verschwinden wird. Denn: Bildung ist eigentlich Ländersache. Ein Dschungel von Schulsystemen, in welchem selbst Lehrkräfte teilweise um Berufsanerkennung kämpfen müssen, falls sie in einem anderen Bundesland zu unterrichten gedenken. Ein  marodes Gebäude also, auf welches man nun an Stelle einer grundhaften Sanierung ein weiteres Stockwerk zu setzen gedenkt. 

Digitale Bildung! Kommt daher als Hype, in Wirklichkeit eine Bringschuld, nicht eingelöst, von der OECD seit Jahren als Stiefkind deutscher Bildungspolitik kritisiert! Dabei wird es auch bleiben. Aber Landespolitiker kriegen glänzende Augen: DA kann man doch aus dem Vollen schöpfen, DA ist das Land zuständig, hurra. Dabei wird verschwiegen , dass das Land selbst den kleinsten finanziellen Anteil beizusteuern hätte. 70%-80% dieser Riesensummen stammen von Bund und EU. Was hat es also auf sich mit diesem Heilsbringer?

Fata Morgana - besonders für den ländlichen Raum:
  • Zuallererst benötigt man entsprechende Breitbandversorgung und sonst läuft kein Schul- oder Zentralserver. Wie es um diese Versorgung steht, kann ergoogelt werden. Wie groß ist eigentlich das Interesse, der Wille des Bundes an der Umsetzung dieser Vorstellungen? Mehr Infos und Hintergründe hier und daraus eine Zahl: Für das Jahr 2017 hat die Bundesregierung 689 Mio € für den Breitbandausbau bereitgestellt. Ausbezahlt bis August 2017 wurden 8,6 Mio Euro... Für die Landkreise schaut das dann so aus.
  • Der Bildungsminister des Landes Sachsen-Anhalt lässt über dpa verkünden , er werde "noch im August ein Landeskonzept digitale Bildung" vorlegen. Sicher interessant - vor allem aber ein Schmücken mit fremden Federn, denn das Geld kommt vom Bund - falls überhaupt! Frühestens im Oktober wird im Bundestag verhandelt und inhaltlich scheint man sich noch gar nicht einig zu sein. Wir kriegen also ein Konzept zu einem Thema, für welches derzeit weder Infrastruktur noch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen. 
  • Technik alleine reicht nicht: Neue Technologien benötigen auch entsprechendes fachliches, didaktisches und technisches Wissen des Lehrpersonals. Dieses wird nicht von einem Tag auf den anderen da sein und diesbezüglich sollten wir alle gewarnt sein. Zur Erinnerung: Wie hoch ist die Schüler/Wochenstundennutzung in Grundschulen  an PC's, in Computerkabinetten, von Laptopklassen, von Digitalen Wandtafeln? Zu Letzterem: Wieviele Schüler gleichzeitig können Sie an der digitalen Wandtafel zu Übungszwecken beschäftigen? Und der Rest der Klasse? Ergänzt mit der Frage: Wie steht es diesbezüglich bisher in Sachen Aufwand und Ertrag dieser doch beachtlichen Investitionen? 

Dazu mal eine Richtschnur: In den Jahren 2000-2004 (also in der digitalen Steinzeit) haben wir an einer Grundschule so genannte Work-Stations(4 Gebraucht-PCs pro Klassenraum ohne Internetanschluss)  als Übungs- und Produktionsstation eingerichtet. Wochennutzungszeit/Kind 6 - 8 Stunden für intensive Übungs- oder Kreativarbeiten in Form von Einzelarbeit oder im Tandem.  Das bedeutet: Diese Station war eigentlich die ganze Woche über mit Ausnahme von ca. 6 Wochenstunden belegt, dank individualisierter Lernziel-Planung und Wochenplanunterricht.

Es bleibt festzuhalten:

  1. Das Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt ist offensichtlich in der Lage, in  sehr kurzer Zeit und pünktlich vor den Bundestagswahlen ein Landeskonzept Digitale Bildung auf den Tisch zu legen. Ein hochkomplexes Thema zu einer Technologie, welche auch heute  einem stetig rasanten Wandel unterworfen ist. Zum Einsatz könnte das angekündigte Modell frühestens 2020 kommen, dann nämlich, wenn die entsprechenden Infrastrukturen auch vorhanden sind. Welche technischen Neuerungen sind in dieser Zeit zu erwarten? Inwiefern ist dieses Konzept dannzumal bereits wieder überholt, selbst wenn alle Finanzierungsfragen geklärt sind? ...und falls die Gelder NICHT wie geplant fließen (siehe Breitbandausbau)?
  2. Dasselbe Bildungsministerium ist nicht in der Lage, das Thema Schulverbund 3 Jahre nach dessen Ankündigung  verlässlich darzustellen, damit die Standortgemeinden perspektivisch gefährdeter Grundschulen  im ländlichen Raum  endlich damit planen können.
  3. Dasselbe Bildungsministerium hat bis heute keine wirklichen Lösungsstrategien zum Thema krankheitsbedingter Unterrichtsausfall an öffentlichen Schulen entwickelt, obwohl die Problematik seit Jahren bekannt und durchaus lösbar ist. 
Man könnte beinahe zur Auffassung gelangen, die Punkte 2 und 3 seien nur lösbar in und mit digitalen Klassenzimmern....

Digitale Bildung ist wichtig, kein Zweifel. Nur nützt sie uns nichts, wenn Bildung grundsätzlich in einem Rahmen konstanter personeller Unterversorgung und Notfall-Klassenorganisationen stattfindet.

Digitale Bildung entfaltet ihre volle Wirkung, wenn sich die Lehrmethoden entsprechend anpassen. Dies bedeutet gerade in der Grundschule, dass der Betreuungsaufwand eher steigt, will man nicht, dass die halbe Klasse nach den ersten "ist das toll" Erlebnissen gelangweilt gähnend im Klassenzimmer rumsitzt.

Womit wir wieder in der Realität gelandet sind: Wir benötigen vordringlich eine auskömmliche Unterrichtsversorgung und dies ist bedeutend mehr, als eine Lehrkraft vor einer recht großen Klasse, welche dafür sorgt, dass der Mindeststundenplan abgedeckt ist. Unter solchen Rahmenbedingungen ist auch digitale Bildung von Anfang an zum Scheitern verurteilt und eine Alibi-Übung.





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