Grundschule Siersleben |
Laut Ankündigung von Bildungsminister Marco Tullner muss man sich im ländlichen Raume in Zukunft in Einzelfällen mit altersgemischter Klassenbildung auseinandersetzen, obwohl dies der "reinen Lehre" (=zweizügige Grundschule mit A- und B-Klasse) widerspreche. Volksstimme v. 23.03.2017 .
Da steht also irgendwas im Raume, worauf in diesem Beitrag speziell eingegangen wird.
Grundschule mit Sekundarschule verwechselt?
Seit Jahrzehnten ist es so, dass sich auf Grund des Lehrer-Fächermixes in den Sekundarschulen eine Zweizügigkeit geradezu aufdrängt. Bis zu 80% der geleisteten Stunden/Klasse werden durch zwei Lehrkräfte erteilt. Es macht aus verschiedenen Gründen Sinn, deswegen mit A- und B-Klassen zu arbeiten:
- stundenplantechnisch sind die beiden Lehrkräfte ausgelastet.
- es lässt sich ein recht guter Klassenstundenplan für zwei Klassen entwickeln.
- einzusetzende Zusatz-Fachlehrkräfte können im Normalfall halbtageweise am selben Ort unterrichten.
- die Lehrkräfte unterrichten mit demselben Vorbereitungsaufwand zwei Klassen.
Diese Lehr- Struktur ist jedoch an Grundschulen NICHT gegeben. Hier werden über 70% der Unterrichtsstunden durch die Klassenlehrkraft erteilt. Damit entfällt der oben dargestellte Fächermix der Sekundarschule. Im Weiteren ist in der pädagogisch orientierten Fachwelt, ganz besonders aber in der Entwicklungspsychologie unbestritten, dass Kinder im Grundschulalter noch stärker auf Bezugspersonen fixiert sind.
Von Seiten des Bildungsministeriums drei Argumente für diese A- und B- Klassen, also die Zweizügigkeit:
- Unterrichts-Differenzierung. (???) Niemand hat bis heute dargestellt, wie das vor sich gehen soll. Lässt sich dies einfach auf zwei Klassen aufteilen? Ebenso bleiben die Antworten aus, weshalb denn Unterrichtsdifferenzierung (z.B. individueller Schüler-Lernplan!) nicht im Klassenzimmer umgesetzt werden können. Etwas, was in verschiedenen europäischen Ländern schon längst Standard ist
- Breiteres Arbeitsgruppen-Angebot: Ja, trifft auf dem Papier zu. Schön eingepackt und abgewickelt im Stundenplan mit 2 bis max. 4 Wochenstunden. Das Bildungsministerium schweigt sich jedoch aus zur Qualität von Schwerpunktthemen, welche in kleinen Schulen unter Einbezug der Ressourcen vor Ort vielfach von besonderer Nachhaltigkeit und in ihrer Vielfalt bemerkenswert sind.
- Ersatz im Krankheitsfall: Das ist ein Luftballon. Angesichts des bestehenden Lehrermangels können Lehrkräfte sowohl in Stadt- wie in Landschulen schlicht und ergreifend nicht ersetzt werden. Was folgt ist: Stillbeschäftigung, Beaufsichtigung von zwei Klassen, Klassenzusammenlegung. Was bleibt: Unterrichtsausfall ist hüben wie drüben Unterrichtsausfall = Es findet kein regulärer Unterricht statt!!
"Reine Lehre" war kein Ausrutscher, sondern ist politisch gewollt!
Wer sich in den vergangenen 5 Jahren etwas intensiver mit der Grundschuldiskussion Sachsen-Anhalts befasst hat, stößt inhaltlich immer wieder auf den Kernsatz dieser "Lehre":
- Die SEPL-VO2014 (auch in der korrigierten Form!) verlangt für die Neueröffnung von öffentlichen Grundschulen vom Standortträger den Nachweis der Zweizügigkeit auf mindestens 5 Jahre! Also 140 bis 200 Schüler. Es wird demzufolge im ländlichen Raume keine neuen Öffentlichen Grundschulen mehr geben! Freie Schulträger sind dort offensichtlich auch nicht mehr gewünscht, wie der Umgang mit Antragsstellern und die Ablehnungsentscheide der letzten Jahre zeigen.
- Anlässlich der Diskussion um ein Schulschließungmoratorium hat es die damalige SPD-Vorsitzende Kathrin Budde 2014 fertig gebracht, innerhalb eines halben Jahres zwei grundverschiedene Aussagen zu diesem Thema zu machen! Verkündung der "reinen Lehre" und 5 Monate später deren Widerruf ... Allerdings nur bis zu den Kommunalwahlen 2015... Dann kam der Widerruf des Widerrufes...
- Unangetastet blieb das STARKIII-Programm mit seinem Demografie-Check "mindestens 100 Schüler 15 Jahre nach Projektabschluss". Laut STARKIII-Werbung: Bis 2023 sind alle bestandsfähigen Grundschulen Sachsen-Anhalts saniert. DAS ist die derzeit laufende Umsetzung der "reinen Lehre". Zuständig sind das Finanzministerium und bezüglich Kontrolle des Demografie-Checks das Kultusministerium!
Schikanen der "reinen Lehre"
Seit Beginn der Schulschließungsdiskussion ist klar, dass sich diese Vorgaben im ländlichen Raume nie und nimmer umsetzen lassen. Zweizügigkeit schon mal gar nicht. Mit der Pflicht zur Einzügigkeit und Mindestschülerzahlen für die Bildung von Anfangsklassen werden Riegel vorgeschoben, mit denen alternative Klassenorganisation von Anfang an verunmöglicht wird.
Was der Freistaat Sachsen seit 2 Jahren gezielt einzuführen beginnt, verhindert die Landesregierung Sachsen-Anhalts gezielt:
- WENN im ländlichen Raume mit von Jahr zu Jahr stark wechselnden Geburtenzahlen die Bildung von Anfangsklassen (als Jahrgangsklassen!) an der Zahl 13 oder 15 festgezurrt wird, geraten sämtliche einzügigen Grundschulen immer wieder in die Ausnahmesituation, muss jährlich um Bildung von Anfangsklassen und Erhalt der Grundschule gefeilscht werden.
- Die Bildung von Kombi-Klassen wird durch diesen Erlass zur Bildung von Anfangsklassen verhindert, denn Klassen mit 26 bis 30 Kinder aus zwei Jahrgängen zu unterrichten, ist an sich schon mehr als grenzwertig. Angesichts der meisten Klassenzimmer mit Brutto-Flächen von unter 65 m2 ist dies aus schulfachlicher Sicht ein Ding der Unmöglichkeit und schlichtweg unverantwortlich!
Die Analyse dieser "Lehre" bedeutet im Klartext: Der ländliche Raum vermag die Anforderungen, was Mindestschülerzahlen und Zügigkeit betrifft, bereits seit 15 Jahren nicht zu erfüllen! Selbst wenn auf Einzügigkeit zurück buchstabiert wird, sind Landschulen mit heute um die 80 Kinder (mindestens 80 Grundschulen!) innerhalb von weiteren 10 Jahren NICHT MEHR bestandsfähig. So sagt es die Bevölkerungsprognose, mit welcher die Standortgemeinden planen müssen.
Leere statt Lehre !
Die ohnehin schon stark ausgedünnte Bildungsinfrastruktur im ländliche Raum verändert sich also perspektivisch in eine bildungsferne, bildungsfreie Zone. Diese Erkenntnis und die Prognose sind nicht neu, seit 2014 mit Zahlen offen gelegt und bereits vom damals zuständigen Kultusminister thematisiert. Die "reine Lehre" (welche in Wirklichkeit lediglich ein Verwaltungsmodell mit vermeintlichem Spareffekt ist!) lässt sich im ländlichen Raum nicht umsetzen. Dafür kriegte Dorgerloh öffentlich Prügel! Die Tatsache bleibt unbestritten: Mit diesen Vorgaben wird der ländliche Raum immer mehr zum No go für junge Familien!
Der Verordnungs- und Erlassdschungel sowie die Förderrichtlinien des Finanz- und Bildungsministerium lassen jedoch keine Abkehr von dieser "Lehre" zu. Die Ankündigung von Kombiklassen im "Einzelfall" ist eine Nebelgranate, denn niemand weiß, wie das geschehen soll und mit "Einzelfällen" lässt sich keine Schulnetzplanung machen.
Gesetzesnovelle als Rettungsanker ?
Die CDU wird nicht müde, seit 2014 über Schulverbünde zu unken. Auch ein Jahr nach Bildung der neuen Koalition gibt es keine konkreten Neuigkeiten. Oder doch? 2018 (!!!!) soll eine Gesetzesnovelle eingebracht werden. Inhalt? Ziel? Darüber darf geraten werden. Abkehr von der "reinen Lehre"? Falls ja, weshalb werden denn weiterhin Schulen geschlossen, muss jährlich um die Bildung von Anfangsklassen gekämpft werden? Weshalb nicht ein Moratorium? Wer DAS erwartet, sollte möglichst schnell den Realitäten ins Auge schauen!
Alle Standortträger des ländlichen Raumes, welche STARKIII-Projekte eingereicht haben oder noch einzureichen gedenken, setzen diese "reine Lehre" mit Antragsstellung bereits um. Sie schließen in den meisten Fällen von heute 3 bestehenden Schulstandorten in den kommenden Jahren 2 Schulen, bereits eingearbeitet im Demografie-Check des zu fördernden Objektes.. Sonst wird das nichts mit dem Demografie-Check!
Eine Gesetzesnovelle würde folgedessen nur noch DEN Schulen helfen, deren Schulträger KEIN STARKIII oder STARK V (auch hier der Demografie-Check!) beantragen. Ihre Schulstandorte sind NICHT in ein Förderobjekt mit 15 Jahre Zweckbindung eingearbeitet.
STARKIII zurrt diese "reine Lehre" fest und zwar bis ins Jahr 2033/35. Gesetzesnovelle hin oder her, sie ist bei StarkIII-bedingten Schulschließungen wirkungslos!
Klartext geht anders!
1. Wer sich auf die "reine Lehre" beruft, muss ehrlicherweise Folgendes kommunizieren:
" Die bestehenden Gesetze, Verordnungen, Förderrichtlinien und Erlasse der zuständigen Ministerien zum Thema Grundschulen führen bis 2030 angesichts der demografischen Entwicklung und der bestehenden Vorgaben des Landes zur Schließung/Fusion von weiteren 80 - 100 Grundschulen im ländlichen Raum. Die Landesregierung hält an diesen Vorgaben fest."
Tullner erklärt genau dies unter dem Titel "Keine weiteren Schulschließungen" in Wanzleben folgendermaßen Volksstimme vom 11.03.2017:
Er müsste ergänzen: "Nach der reinen Lehre, wird es klar zu wenige Schüler geben! Schulschließungen sind unumgänglich"! Stattdessen:Fünf Jahre keine Schulschließungen. Was sind denn 5 Jahre?
2. Soll tatsächlich eine Abkehr von der "reinen Lehre" in Form einer Gesetzesnovelle erfolgen, dann erwarten wir folgende Stellungnahme: "Die Landesregierung hat die Problematik der bestehenden SEPL-VO2014 in Bezug auf die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raumes erkannt und wird spätestens im März 2018 eine Gesetzesnovelle einbringen, mit welcher Landschulen langfristig gesichert werden können. Bis zur Flächen deckenden (also nicht Pilot-Versuche!) Umsetzung dieser Novelle werden keine weiteren Schulen geschlossen". Alles Andere macht keinen Sinn, ist arglistige Täuschung. Mit solchen verbindlichen Ankündigungen kommen Standortträger überhaupt erst in die Lage, weiter zu planen.
Es bleiben immer noch all DIE Schulen, welche wegen STARKIII geschlossen werden! Da ist guter Rat teuer.
Stattdessen gähnendes Schweigen.
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