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Petitionen, Volksbegehren: Bedrohung, Gewinn, Alibi-Demokratie?

Wir schlagen nun den Bogen ins Jahr 2016, betrachten die aktuelle Situation und lassen hier unsere Erfahrungen (und diejenige vieler anderer Bürgerinnen und Bürger ) aus den Jahren 2012 - 16 einfließen.  Wir konzentrieren uns auf das Land Sachsen-Anhalt. 
Daraus ergeben sich konkrete Aussagen zum Thema "direkte Demokratie", aber auch offensichtlich Strukturen, welche genau diese "direkte Demokratie" arg einschränken, beziehungsweise gar nicht zulassen.




Petitionsrecht
  • Ermöglicht Betroffenen, sich via Unterschriftensammlung bemerkbar zu machen, eine Petition einzureichen und zu hoffen, dass diese wohlwollend beurteilt werde. Politische Verbindlichkeit besteht nicht.
  • Das Gesetz, die Verordnung, der Entscheid, welcher Gegenstand der Petition ist, wird auf Verwaltungsebene weiter umgesetzt, womit die Petition sich früher oder später selbst erledigt.
Wer sich also aktiv für  Änderung oder Korrektur von Entscheiden oder neuen Impulsen in der Landespolitik einsetzen will, braucht ein stärkeres Mittel. Was gibt es denn diesbezüglich? Auf der Web-Seite des Landes findet man zum Thema "direkte Demokratie" folgende Grafik:

Schauen wir die Instrumente der "Direkten Demokratie" ganz kurz an:

Volksinitiative:
Anhörung Volksinitiative:
"Rettet das Kulturland Sachsen-Anhalt!
  • 30 000 Unterstützer wollen zuerst mal gefunden und erfasst sein. Gelingt dies, kriegen sie ein Rederecht vor dem Landtag. Weitere Verbindlichkeit? Keine. Also lediglich eine Anhörung mit sehr hohen Hürden. Was meint Ihr, Kulturinitiative 2013, was ist aus Eurer Anhörung geworden???
Welches waren die substantiellen und messbaren Erfolge dieser Anhörung?



Volksbegehren:
  • Antrag auf Volksbegehren (Neues Gesetz, Gesetzesänderung, Aufhebung eines Gesetzes)  muss mit 6000 gültigen Unterschriften eingereicht werden. 
  • Rechtmäßigkeit des Begehrens wird geprüft, falls ja müssen die Initianten 9% der Unterschriften sämtlicher Wahlberechtigten einbringen. (Die Wegleitung der Landesverwaltung spricht im Textteil sogar von 11 %)
  • Ist auch dies zustande gekommen, entscheidet der Landtag. Entweder er bejaht diesen Gesetzesvorstoß und übernimmt ihn als Gesetz, oder aber er lehnt ihn ab. Dann kommt es zur Volksabstimmung, allerdings nicht alleine über den Vorstoß der Initianten. Die Regierung kann gleichzeitig einen Gegenvorschlag präsentieren. 
  • Wer nun glaubt, da reiche die einfache Mehrheit, irrt: Ja-Stimmen des Begehrens müssen einfache Mehrheit erzielen UND JA Anteil muss mindestens 25% aller Stimmberechtigten betragen. Extrem hohe Hürden.
  • SO ist auch die Geschichte der bisherigen drei Volksbegehren: 
  • 2000: "Für die Zukunft unserer Kinder" Gescheitert, zu wenig Unterschriften
  • 2004: "Für ein kinderfreundliches Sachsen-Anhalt": Eigentlich erfolgreich, Mehrheit, aber  25%-Quorum nicht erreicht =  gescheitert.
  • 2010: Gegen die zwangsweise Bildung von Einheitsgemeinden, zu wenig Unterschriften.

Ein Bollwerk gegen Einmischung des Wählers - Ein Bollwerk gegen "Direkte Demokratie". Vergleiche

Ein Volksbegehren überhaupt in den Landtag zu bringen, erfordert also bei 1 887 000 Stimmberechtigten 168 000 Unterschriften. Erstaunt es da, dass es in der Geschichte Sachsen-Anhalts bisher genau drei solche Begehren gab?

In der Schweiz waren 2013 5,156 Mio Menschen stimmberechtigt. Nötiges Quorum für eine Volksinitiative: 100 000 Unterschriften = 1,93% aller Stimmberechtigten. Offensichtlich ergibt sich hier der Anreiz für die Bürger, politisch aktiv zu werden. Liste der Volksinitiativen (Menue links teilt nach Status)

Umgelegt auf Sachsen-Anhalt würde dies bedeuten. Für die Einreichung eines Volksbegehrens reichen 35 853 Unterschriften. 

Was auf Kommunalebene (selten) funktioniert, ist auf Landesebene wirkungslos

Vor einer Woche fand in Halberstadt eine denkwürdige Abstimmung statt. In einem Bürgerbegehren wurde entschieden, dass ein Stadtratsbeschluss, in welchem die Stadt künftig nur noch mit 5 statt mit 6 Schulstandorten weiter zu planen gedachte, aufzuheben ist. 

Bemerkenswert ist dabei in unserer Thematik Folgendes: Mit dem Stadtratsentscheid, welcher im April 2016 gefällt wurde, kündigten die Gegner das Bürgerbegehren  an.  Also Reißleine. Dies müsste nun der Grund sein, dass auch die Verwaltung sofort auf die Bremse tritt, alle weiteren Schritte zurückstellt. Nach dem Sammeln der notwendigen Unterschriften hatte der Stadtrat im Juni die Möglichkeit, dieses Begehren direkt anzunehmen, also den eigenen  Entscheid rückgängig zu machen,  oder aber das Begehren dem Bürger zur Abstimmung vorzulegen, was dann auch passiert ist.  Spätestens ab diesem Zeitpunkt friert das hängige Bürgerbegehren  die mögliche weitere Planung der Verwaltung zu dieser Frage so lange ein, bis der Bürger entschieden hat.

Landesebene:
Sowohl Kreisgebietsreform wie auch Kommunalgebietsreform waren in der Bevölkerung hoch umstritten, als Gesetz nicht mehrheitsfähig.  Die gesetzlichen Grundlagen zur Kommunalgebietsreform wurden 2008 erlassen und sofort ging es darum, möglichst viele freiwillige Fusionen zu produzieren, was auch passiert ist, aber NICHT auf Betreiben der Bürger, sondern als Umsetzung von Verordnungen. 2010, als das ganze Ausmaß sichtbar wurde, kam dann das Volksbegehren, natürlich zu spät und deswegen bereits in der Beschaffung der notwendigen Unterschriften erfolglos.

Wenn man also von direkter Demokratie spricht und dann  das Bürgerbegehren von Halberstadt als leuchtendes Beispiel für "direkte Demokratie" in Sachsen-Anhalt hochjubelt, sollte sofort die nächste Frage auf den Tisch:

Wie verhält es sich denn mit dem Einfrieren eines Landesgesetzes bis zum Bürgerentscheid, mit dem Sistieren einer Verordnung mit Gesetzeswirkung wie beispielsweise die SEPL-VO2014 oder STARKIII? Einfrieren heißt: Parallel zum Beschluss des Landtages oder der Ministerien gibt es auch ein Instrument für Opposition, Verbände und Bürger, mit welchem dieser Beschluss der Genehmigung durch das Volk unterstellt werden kann. Damit ist eine weitere Umsetzung bis zum Volksentscheid gestoppt. Dieses Instrument gibt es jedoch nicht, hier besteht ganz klar Handlungsbedarf.

Wir nennen das Fakultatives Referendum, das Thema des nächsten Beitrages.

Nachtrag!!!

Auszug aus der Volksstimme vom 19.9.2016 zum Thema "Direkte Demokratie":
Wir vom Aktionsbündnis waren entsetzt über diese Sätze. Wir empfinden sie als  eine Watsche für alle engagierten Bürgerinnen und Bürger, denn im Grunde genommen wird damit gesagt: "Du kriegst alle 5 Jahre eine Stimme, um uns zu wählen. Anschließend gibst du deine Stimme  für die kommenden 5 Jahre wieder ab!"

Inzwischen sind wir etwas cooler und sagen: Danke Herr Leindecker, Sie beschreiben exakt, wie es um den Zustand der direkten Demokratie in Sachsen-Anhalt und das Verständnis  vieler Politiker zum Thema Bürgernähe und Direkte Demokratie  bestellt ist. 
Indirekte (oder repräsentative) Demokratie, obwohl dauernd von direkter Demokratie gesprochen wird.


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