Direkt zum Hauptbereich

Sprechen wir mal "von Schule": Möblierung der Klassenzimmer - ein Gesundheitsrisiko!

Das neue Schuljahr hat begonnen. Neben den Berichten über die Einschulungen und den ersten Schultag dominiert das Thema Unterrichtsversorgung. Sicherlich wichtig und eine Grundvoraussetzung für einen geregelten Schulbetrieb. Das Thema wird uns über das gesamte Schuljahr 2016/17 begleiten. Daraus könnte man ableiten: Guter Unterricht ist garantiert, wenn jede Klasse eine verantwortliche Klassenlehrkraft hat und das wars dann.  Dass noch ganz andere Faktoren einen wesentlichen Einfluss auf Lernerfolg haben, wurde in den Beiträgen "Kindgerechter Schulhausbau"  am Beispiel der Diesterweg-Schule in Halberstadt,  "Finanzielle Ausstattung und Kompetenzen" und "Klassenzimmer- Wartsaal oder zweite Lehrkraft?" dargestellt. Was nun folgt ist das Thema Möblierung der Klassenzimmer. Auch dies ein zentrales Element für modernen Unterricht, aber auch verantwortlich für das Wohlbefinden von Kindern / Jugendlichen und damit für Lernerfolg.

Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung..

In der Arbeitswelt schon längst ein Begriff und umgesetzt. Sicherlich ein Verdienst der Gewerkschaften, aber ganz besonders der Mediziner, welche schlüssig nachweisen konnten, dass bestimmte Berufserkrankungen und damit verbunden hohe Sozialkosten vermieden werden können, wenn mehr präventiv gesundheitliche Aspekte in die Arbeitsplatzgestaltung einfließen. Heute ist dieses Thema ein eigentlicher Wirtschaftszweig, begründet in der Tatsache, dass Arbeitnehmer einen Großteil ihrer Lebenszeit am Arbeitsplatz verbringen und eine optimale Gestaltung gesundheitliche Schädigungen vermieden werden müssen.

...Fehlanzeige in den Schulen

Setpreis 140 € - 180 €

All diese Argumente scheinen für die Lernenden an den Allgemein bildenden Schulen kein Thema zu sein. Wer ist eigentlich zuständig für die Möblierung? Die Standortgemeinden. Nach welchen Richtlinien? In der Empfehlung der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre 2008 wird die DIN-ISO 5270 aus dem Jahre 1981 als Richtschnur angegeben. Erweitert wird dies in den letzten Jahren durch die verfeinerte europäische DIN-en 1729-1, wobei ein wesentlicher Aspekt offensichtlich nicht zum Tragen kommt, das so genannte dynamische Sitzen. So finden wir in den meisten Klassenzimmern Schulmöbel, wie sie hier bildlich dargestellt sind.

Stundenlanges statisches Sitzen ist Gift für den Körper im Wachstum

135 € - 185 € pro Stuhl
ab 210 € /Einzeltisch
Ein Großteil der Haltungsschäden von Kindern und Jugendlichen wird mit falscher Sitzhaltung während der Schulzeit begründet. Das kann verschiedene Ursachen haben: Falsche Einstellung der Schulmöbel, generell zuviel Sitzen, zu langes Arbeiten oder Zuhören in immer derselben Sitzposition. Schlechte Arbeitswinkel an Schultischen. Eine Untersuchung aus dem Jahre 2001 zeigt, dass bereits Grundschüler pro Tag bis zu 9 Stunden in Sitzhaltung verbringen - etwas was eigentlich dem Wesen dieser Altersgruppe völlig widerspricht. Diese Werte haben sich seither zweifellos erhöht.

Somit ist es eigentlich ein Gebot der Stunde, alles zu unternehmen, um diesen Zustand zu ändern. Die Gesundheitsorganisationen weisen seit Jahren auf diese Problematik hin. Beispiel AOK, S. 10-12: Möbel gegen das Sitzen bleiben! Der Beitrag stammt aus dem Jahre 2004!  WAS hat sich seither getan?  Alternativen gibt es viele: Einzelpulte individuell verstellbar mit Neige-Arbeitsfläche, Schülerstühle als Drehstuhl mit Gaslift, Stehpulte, Sitz-Liegeflächen am Boden. All das ist seit über 30 Jahren auf dem Markt und fällt mit schöner Regelmäßigkeit bei Neueinrichtungen der Kosten wegen aus dem Rennen. Wo finden wir solche Einrichtungen?    Hier wird das gesamte Spektrum des Zusammenwirkens von Klassenraumgestaltung, Einrichtung und sich daraus ergebenden Lehrmethoden dargestellt. Ganz klar, dass damit die Lernatmosphäre nachhaltig verändert wird. 

Das Dilemma der Kommunen

Als Standorträger sind sie weitgehendst für die Einrichtung der Klassenzimmer zuständig. Dafür gibt es auch nur in  beschränktem Rahmen finanzielle Unterstützung. Angesichts der chronischen Unterfinanzierung steht also der günstige Anschaffungspreis im Vordergrund. Es ergibt sich eine Spannweite von 150-180 € für zwei Schülerarbeitsplätze mit sehr statischen Eigenschaften und Kosten von 250 € - 320 € für einen dynamischen Schülerarbeitsplatz.

Was für einen Speiseraum, die Bestuhlung der Aula  oder des Musikraumes als Billigmöblierung noch angehen mag, ist  im Bereiche Klassenraum eindeutig ein Sparen auf Kosten der Gesundheit der Kinder, verbunden mit einer eingeschränkten Lernqualität. 

Wie anders ist doch der Umgang mit dem Thema Büroarbeit und optimalem Sitzen, hier ab S. 22.   und wie schnell kostet in dieser Branche  ein guter  Bürostuhl 300 €?  Der Unterschied zwischen den berechtigten Ansprüchen eines Sachbearbeiters und denen eines Grundschülers bezüglich gesundem Arbeitsplatz ist nicht auszumachen. Oder doch? Wer von den beiden sitzt eher 45 Minuten nonstop auf seinem Stuhl?

Kein Thema, wir haben andere Probleme

"Gut habt ihr keine anderen Probleme, wir sind vorerst mal froh, wenn wir genügend Lehrkräfte haben", werden jetzt Politiker, Eltern und Lehrkräfte sagen. Genau! Seit 5 Jahren kommen wir NICHT über diesen Punkt hinaus, sprechen jedoch dauernd von Unterrichts- und Lernqualität... So lässt sich die Beitragsserie "Sprechen wir mal von Schule" wie folgt zusammen
  • wir sind damit beschäftigt, einen grundsätzlichen Sanierungsstau an unseren Schulen mit EU-Fördergeldern äußerlich zu beheben und halten dann Unterricht mit 24 und mehr Kindern in 50 m2- Klassenzimmern(brutto! bei Erfurt II), welche genau EINE Unterrichtsform zulassen. Reihenbestuhlung und Frontalunterricht. Wir verbuttern Geld in eine Hüllensanierung, welches mit Abriss und Neubau viel besser angelegt wäre.
  • wir hausieren mit Ansteckknöpfen wie "gesunde Schule", "bewegte Schule" und haben die Möglichkeit, zwei Wochenstunden dafür aufzuwenden - hoffentlich nicht im Klassenzimmer.
  • wir sprechen von Individualisierung und Inklusion und stoßen bei konkreter Umsetzung auf das Problem, dass wir gar keinen Platz für eine zweite Lehrkraft (sofern überhaupt vorhanden!) im Klassenzimmer haben.
  • wir sprechen von Werkstattunterricht wo kein Platz zum Aufbau einer Werkstatt ist / von Wochenplanunterricht, der auf Grund räumlicher Enge und fehlender Arbeitsstationen am angestammten Sitzplatz stattfinden  muss.
  • wir betreiben also Etikettenschwindel im großen Stil, denn richtig: Zuerst müssen wir mal die Grundversorgung sicher stellen, sonst geht gar nichts. Seit 5 Jahren und mit Sicherheit nochmals 5 Jahre... DANN können wir uns anderen Themen widmen.
So betrachtet, ist das Thema dynamischer Arbeitsplatz, methodisch kindgerechter, abwechslungsreicher Unterricht in der "To-do-Liste" weit unten anzusiedeln. Für Folgeschäden kommen ja dann eh andere Institutionen auf, nicht wahr?  ..und zwar folgendermaßen.  Da findet man dann interessante Ratschläge und Begründungen

Unnötiger Exkurs. Wir hier sprechen ja nur von Kindern...

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Sprechen wir mal "von Schule" - Klassenzimmer: Wartsaal oder "die zweite Lehrkraft" ?

Wir befassen uns heute mit  den Räumen in welchen Kinder und Jugendliche im Alter von 6 - 16  mehr als die Hälfte ihres Lebens verbringen. Es sind zwei Punkte, welche im Vordergrund stehen: Nutzung des Raumes  und Möblierung. Der Titel deutet es schon an, hier geht es um die Nutzung. Das Bild links zeigt ein Klassenzimmer um 1900 herum.   Der dazugehörige Beitrag ist sehr lesenswert. Schule um 1900 eben. "Und auch aus diesen Jungs und Mädchen ist was geworden", höre ich bereits. Ja, das ist so. Das Bild rechts oben und die Bilder dieses Abschnittes zeigen Klassenzimmer von heute. In den meisten Grundschulen sehen wir nach wie vor die klassische Bestuhlung und sie besagt etwas: Gängigste Unterrichtsmethodik ist Frontalunterricht. Dies wiederum bedeutet für die Schüler: Viel sitzen, viel zuhören, wenig Eigenaktivität und Bewegung. Ja, es gibt auch andere Klassenraumbestuhlungen, sie sind lobend zu erwähnen, denn sie machen auf den ersten Blick klar, dass...

Schülerbeförderung: 75 Minuten für 7-Jährige ! Wo bleibt eigentlich das Jugendamt?

Das Thema Schulschließungen produziert auf einer anderen Ebene Probleme, welche das Kultusministerium kaum und das Finanzministerium offenbar schon gar nicht interessieren. Es geht dabei einerseits um entstehende Kosten für den Schülertransport und zugleich um die Frage: Wo liegt die Grenze der Zumutbarkeit von Schülertransporten für Grundschüler? Dazu hat man in den letzten Tagen mehr erfahren: Kosten der Schülertransporte: Dazu Infos aus dem Kreise Jessen. Die Transportkosten stiegen von 4,26 Mio € im Jahre 2008 auf 5,45 Mio im Jahre 2011. Die durchschnittliche Kilometerleistung für einen Weg/Schüler betrug 15,61 Kilometer (2011) und wird mit den begonnenen Schulschließungen massiv zunehmen. ( Quelle MZ ) Diese Millionen scheinen irgendwo vom Himmel zu regnen und das Haushaltsbudget des Landes Sachsen-Anhalts nicht zu belasten. Hier spricht man nämlich nur vom enormen Sparpotential, ohne genauere Zahlen zu nennen. 75 Minuten von Tür zu Tür Zumindest der Landkreis Mansfeld S...

Die Rechte unserer Kinder (1)

http://www.jugenddelegierte.de Nachdem wir inzwischen bis zum Gehtnichtmehr dargestellt haben, dass die Schwerpunkte der gegenwärtigen Planungen des Finanz- und Kultusministeriums ausschließlich finanzielle und personelle Gründe haben, möchten wir in diesem und den folgenden drei Beiträgen die Kinder in den Fokus stellen  Sie sind es, welche am Unmittelbarsten betroffen sind und - das behaupten wir jetzt - entsprechend Schaden nehmen oder benachteiligt werden Die Uno-Kinderrechts-Konvention von 1989  legt die Kinderrechte in 10 Punkten fest:  Drei davon möchten wir in diesem Zusammenhang herausgreifen: das Recht auf Gesundheit das Recht auf Bildung das Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung 1. Recht auf Gesundheit Dazu eine Wegleitung zum Schlafbedarf von 6-11-Jährigen Für 5-6-Jährige beträgt dieser 11,5 Stunden, 7-11-Jährige liegt der Wer bei 11 Stunden. Daraus ergibt sich ein handfestes Problem für Eltern, deren Kinder bereits um 05:30 ...