Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt
Artikel 19, Petitionsrecht
Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an den Landtag, die Vertretungen des Volkes in den Kommunen und an die zuständigen Stelle zu wenden. In angemessener Frist ist Bescheid zu erteilen.
Leider fehlt in diesem Artikel die Definition von "angemessener Frist" und ab welchen Wartefristen man von einer politischen Verweigerung und damit einem Verwaltungsstrafbestand sprechen kann.
Chronik:
Exakt vor 2 Jahren startete unsere 1. Petition "Stoppt Grundschulschließungen - Fördert Landschulen". Ich habe diese Petition als Privatperson lanciert und innerhalb weniger Wochen entstand daraus das Aktionsbündnis Grundschulen vor Ort, getragen von vielen lokalen Initiativgruppen. Bis 21.08.2013 wurden Unterschriften gesammelt und am 11. September 2013 konnte diese dem Petitionsausschuss übergeben werden. Am 09.01.2014 fand eine öffentliche Anhörung statt, zu welcher der Petitionsausschuss in verdankenswerter Weise auch den Bildungs- und den Finanzausschuss geladen hatte. In der zur Verfügung stehenden Zeit wurde ein kurzer Überblick zu unserem Anliegen vorgetragen und eine reichhaltige Dokumentation zu dem, was wir als Petitionäre vorschlagen, übergeben (zu einem späteren Zeitpunkt übrigens sämtlichen Landtagsabgeordneten zugestellt).
Der Staatssekretär erklärt also gleich nach der Anhörung (ohne unsere Argumente und mitgereichten Personal- und Kostenberechnungen angeschaut zu haben!), dass alles so bleiben solle, wie es ist! Wozu verspricht er denn noch eine gründliche Prüfung, wenn eh schon klar ist, dass NICHT auf dieses Begehren eingegangen werden soll?
Was waren denn unsere Argumente?
- SEPL-VO2014 mit den Richtzahlen 60/80 lässt sich im ländlichen Raum NICHT umsetzen, führt zu bildungsfernen Zonen. (Inzwischen wurde 80 gestrichen!!!)
- Die Definition ländlicher Raum in der SEPL-VO2014 ist nicht nachvollziehbar, was an mehreren Beispielen dargelegt wurde (inzwischen ist das korrigiert worden. Es gilt ab 2017 einheitlich 60 !!!!)
- Die Organisationsform Jahrgangsklassen lässt sich im dünner besiedelten ländlichen Raum perspektivisch nicht halten! Sie führt zu unnötigen Schulschließungen und für die Kinder zu extremen und nicht zu verantwortenden Schulwegen, einer massiven Kostensteigerung im Bereich Schülerbeförderung. Diese ist von den Landkreisen zu tragen und scheint den Gesetzgeber nicht zu interessieren (Heute ist genau DAS ein Thema, welches die Landkreise in immer größere Bedrängnis bringt !!!).
- Wir forderten die Ausschüsse auf, das Modell jahrgangsdurchmischte Klassenbildung und Unterricht zu prüfen, da mit dieser Schulform KEIN Schulstandort geschlossen werden müsse, dieselbe Personalersparnis erzielt und gesamtwirtschaftlich KEINE Mehrkosten entstehen würden. Im Gegenteil, sogar ein infrastruktureller Mehrwert für die Zukunft des ländlichen Raumes wurde nachgewiesen.. Erforderlich sei eine Änderung des Schulgesetzes und eine deutliche Reduktion der Mindestschülerzahlen der SEPL-VO2014. (Gesamtwirtschaftlich und mit Zahlen unterlegte Betrachtung unseres Vorschlages beigelegt)
- Wir stellten außerdem in den Raum, dass wir der Auffassung seien, dass es von Seiten des Kultusministeriums KEINE derartige Untersuchung gäbe (was sich inzwischen bestätigt hat !!), sich die erhofften Personalsparziele NICHT einstellen würden und der ländliche Raum als Lebensort für Familien mit der Umsetzung der SEPL-VO2014 völlig unattraktiv werde. Im Weiteren würden die Folgekosten dieser SEPL-VO2014 auf Landkreise und Kommunen umgelegt (was wir in der Presse aktuell mitverfolgen können).
Umgang der Regierungskoalition mit dieser Petition:
- Eingangsbetätigung im September 2013 durch den Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Herr Mewes.
- Ladung zur öffentlichen Anhörung im Januar 2014. (4 Monate nach Einreichen der Petition!)
- Einladung durch die beiden Bildungsausschüsse der CDU und der SPD im Frühjahr 2014
- Mitteilung des Vorsitzenden des Petitionsausschusses, dass unser Anliegen weiterhin in den Ausschüssen liege, der Petitions-Ausschuss weitere Auskünfte verlangt habe.
- 2. Petition : Schulschließungsmoratorium! Über 30 000 Unterschriften. Übergabe Mai 2014! Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass unsere 1. Petition mit absoluter Dringlichkeit geprüft werden und während dieser Zeit keine weiteren Schulschließungen stattfinden sollten! Für Interessierte: Hier der dazugehörige Brief an den Ausschussvorsitzenden. Eingangsbestätigung erfolgte sofort.
- Seither Schweigen. 1 langes Jahr! (In dieser Zeit schraubte man an der SEPL-VO2014 herum, wurden im Zeitraum 2013/14 rund 40 Grundschulen geschlossen, welche nach unserem Vorschlag bestandsfähig wären)
- Seit Juni 2014: Aufgleisung von STARKIII mit Mindestschülerzahlen im Demographie-Check, welche doppelt so hoch sind, wie die Mindestschülerzahlen der SEPL-VO2014. Bekanntgabe dieser Konditionen für Bedarfsmeldung im Juni 2014.
- Januar 2015: Bitte/Antrag des Aktionsbündnisses um Zusatzanhörung zu unserer Petition, da sich die Grundlagen durch die Entscheide der Regierungskoalition und dem anlaufenden STARKIII-Programm verändert hätten, die Problematik an sich jedoch in eher verschärfter Form bestehen bleibe.Bestätigung kam sofort, seither Schweigen.
- Bemerkenswerte Rede des Ausschussvorsitzenden Hans-Joachim Mewes im Landtag am 26.03.2015. Eine Lehrstunde zum Thema Wert und Wertschätzung von Petitionen durch das Parlament, auch unsere Thematik wurde darin mehrmals aufgegriffen bis hin zur Anmahnung der vor einem Jahr angeforderten Stellungnahme. (Daraus geht hervor, dass eben auch ein Petitionsausschuss nur so gut und bürgernah funktionieren kann, wie es die Verantwortungsträger der Landesregierung zulassen.)
- Mehreren Abgeordneten wurde von unserer Seite informell Vorbereitung einer Untätigkeits-/Verschleppungsklage angekündigt und nun finden wir Folgendes:
Nach 1 1/2 Jahren eine proforma Diskussion auf Basis von Grundlagen, welche heute in der damaligen Form gar nicht mehr bestehen. Man beachte: Beratung! - Ohne Zusatzanhörung!
So ganz nebenbei:
- Inzwischen sitzt ja in Sachen SEPL-VO2014 den Ministerien der Landesrechnungshof im Nacken, weil er die Entstehung der SEPL-VO2014 aus dem Jahre 2013 mit großen Fragezeichen versieht. Auch hier: Es wird das Abwägen von Alternativen Modellen und die fehlende sogenannte gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise, insbesondere der Folgekosten, kritisiert. Das alles läuft sehr diskret, fernab der Öffentlichkeit.
- Die EU steht der Förderpraxis und dem Umgang dieser Landesregierung mit Fördergeldern kritisch gegenüber, hat sogar eine fällige Auszahlung von über 250 Mio € derzeit blockiert.Wir gehen davon aus, dass insbesondere zum Thema STARKIII im Kontext mit Regionalentwicklung und Ländlichem Raum zeitnah noch viel weiter gehende kritische Fragen durch die EU gestellt werden.
Fazit:
Es dürfte in den letzten 3 Jahren kaum eine Petition gegeben haben, mit welcher zu einem derart komplexen Thema ein so gründlich unterlegtes alternatives Handlungskonzept eingereicht wurde. Der Umgang mit diesen Petitionen durch die politisch zuständigen Ausschüsse wirft aber gravierende Fragen im Umgang mit diesem Bürgerrecht auf.
Sämtliche unsere Aussagen von 2013 sind auch heute gültig. Nichts, aber auch gar nichts muss zurückgenommen werde. Nur müssen wir diese Argumente jetzt nicht nur auf die SEPL-VO2014 sondern gleichzeitig auf STARKIII übertragen, weil diese Landesregierung mit STARKIII über die Hintertüre und am Landtag vorbei ein neues Schließungsinstrument eingeführt hat, nachdem sie mit der SEPL-VO2014 auf Granit gebissen hat.
Unsere Aussagen sind und bleiben bestandsfähig - ganz im Gegensatz zur Flickerei in den Ministerien, den Ausschüssen und Parteien an diesen konkreten Baustellen (was erst recht belegt, wie richtig in der Sache unsere Vorschläge und Argumente sind) . Unglaublich, was da alles korrigiert, geklebt oder in Form eines letztlich gescheiterten "Schulfriedens" politisch hätte gerettet werden sollen - (ohne die im Zentrum stehende Grundproblematik Jahrgangsklassen anzutasten!) .
Besonders bedenklich erscheint dieses Verhalten, weil sich am Beispiel unserer Petitionen eine politische Strategie ablesen lässt: Aussitzen, beschwichtigen, verzögern und zwar solange, bis unumkehrbare Tatsachen geschaffen sind!
DAS ist ein Giftstachel, Wirkstoffe sind Misstrauen und Unglaubwürdigkeit. Er wirkt langsam, aber nachhaltig. (Kultur, Polizei, ländlicher Raum, Kommunen, selbst in den eigenen Parteien, in der gesamten Gesellschaft)
Dem würde ich als Petitionär anfügen:
Diese Regierungskoalition jedoch scheint das fragwürdige Recht zu beanspruchen, sich einen Dreck um diese Bitten oder Beschwerden kümmern zu müssen. DAS lässt sie sogar ihren eigenen Petitionsausschuss spüren. Dazu kommt, dass die Opposition sich offenbar nicht in der Lage sieht oder nicht Willens ist, auf rechtlichem Wege die demokratisch verankerten Grundrechte zu schützen. Lieber spricht man dann davon, dass der Regierung nicht genehme Anträge (dazu gehören auch unsere beiden Petitionen) in den Ausschüssen "versenkt" werden. Wars das wirklich?
Frust - Rückzug?
Aber nein! Wir konnten viel bewegen, von außen Einfluss nehmen, kriegten auch Unterstützung von Parteien. Trotzdem ließen sich viele Schulschließungen nicht verhindern, andere nur aufschieben, der oben beschriebenen Aussitztaktik der Ministerien geschuldet.
Ein weiteres Armutszeugnis: Eine wirkliche Diskussion über unser vorgeschlagenes Schulsystem für den ländlichen Raum (welches von Bayern, inzwischen auch Sachsen angewendet wird) fand bis heute NICHT statt, ist offensichtlich nicht gewünscht ! Auch damit war zu rechnen - JETZT ist es dokumentiert!
Vor zwei Jahren haben wir gesagt :"Unser Atem reicht mindestens bis 2016". Daran hat sich nichts geändert. Wetten?
In Teil 2: "Prognose" und eine kleine Analyse.
Walter Helbling
Initiator der Petition "Stoppt Grundschulschließungen - Fördert Landschulen"
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