Ihr Redebeitrag als
SPD-Fraktionsvorsitzende zu TOP 19 - Grundschulen auf dem Lande eine
Chance geben - in der Landtagssitzung vom 27. März 2014
Sehr geehrte Frau Budde,
ich (als für Grundschulen auf dem Land
engagierte Mutter) hatte am 27.03.14 im Zusammenhang mit der
Teilnahme an der Demonstration zum Erhalt der Grundschulen auf dem
Land Gelegenheit, als Gast der Landtagssitzung beizuwohnen - eine
Premiere für mich! Der erste Redebeitrag, den ich hören konnte, war
der Ihre.
Ich nutze heute die Möglichkeit des
Offenen Briefes, um mich zum Inhalt und der Wirkung zu äußern.
Gleich zu Beginn Ihrer Rede mühten Sie
sich, das zum wiederholten Male vorgebrachte Anliegen der Fraktion
DIE LINKE, Schulen auf dem Land eine Chance zu geben
(„Schulschließungsmoratorium“), zu beantworten - mit einer hier
von mir vereinfacht dargestellten Formel: Ich mache noch lange
nicht das, was du sagst, denn du darfst hier nicht mitspielen!
Solche Reaktionen kenne ich - aus
meiner Kindheit und aus der meines Sohnes. Aber aus berufenem Munde
einer sozialdemokratischen Politikerin beim Thema Bildung?!
Enttäuschend!
Was ich weiter hörte, waren u.a.
Formulierungen wie: „die Eltern wollen, dass es daneben ist“.
Sie meinen damit, wir Eltern würden wollen, dass sich die Schule in
direkter Nachbarschaft zum Wohnhaus befindet!? Wollen wir nicht, denn
die Ortschaften, in denen bzw. deren Ortsteilen wir leben heißen
Siersleben, Wippra, Werben, Beesenstedt, Zscherben, Rieder,
Hamersleben, Wetterzeube, Stolberg, Steutz, Sayda, Klostermansfeld
usw., aber sie heißen nicht Wolkenkuckucksheim! Wir erwarten nichts
Unmögliches.
Gleich im Folgenden widersprechen Sie
Ihrer Ansicht, indem Sie festhalten, dass bereits heute für 90 % der
Eltern „das schon nicht so ist“…also das beschauliche
Leben mit der Schule - zu erreichen in warmen Pantoffeln. Damit haben
Sie gewiss Recht.
Wir gehören tatsächlich zu ganz
großen Teilen bereits zu den Eltern, deren Kinder schon jetzt
einiges an Zeit im Bus verbringen. Aber ortsnahe Beschulung zu
ermöglichen bzw. „das bestehende Schulnetz im Land zu sichern“
(Koalitionsvertrag) ist eben doch etwas anderes, als das was Sie
aktuell durchsetzen wollen.
Wogegen wir Eltern uns mit unseren
Protesten u.a. wehren ist, dass unsere Kinder im Grundschulalter noch
mehr Zeit im Bus verbringen müssen, um noch weitere Wege zu den
Schulen zurückzulegen bzw. dass noch mehr Kinder auf diese
zeitraubenden, nutzlosen Reisen geschickt werden!
An der Stelle soll noch einmal deutlich
gesagt werden, dass es sich hier um KINDER im Alter von 6-11 Jahren
handelt.
Diese „Herumkutscherei“
widerspricht in gehörigem Maße unserem Verständnis und unserer
Verantwortung für Erziehung und Fürsorge gegenüber unseren
Kindern! Diese Pflichten tragen in erster Linie wir Eltern! Anstatt
uns in diesen Aufgaben zu unterstützen, beschränken Sie uns in der
Wahrnehmung unserer Aufgaben und Rechte mit den Auswirkungen von
Rechtsgrundlagen wie SEPL-VO 2014!
Hinzu kommt, dass Sie diese
„busfahrenden“ Kinder des Rechts und der Möglichkeiten berauben,
mit gleichen Bildungschancen aufzuwachsen, wie altersgleiche Kinder
anderer Regionen - weil unsere Kinder anderswo, nämlich auf dem Land
leben!
Genau das ist die Stelle, an der
Bildung auf dem Land an Qualität verliert – durch
Zeitverschwendung in Form von Busfahrten! Die Bildungsqualität
leidet nicht, weil die Schule klein ist und auf dem Land steht!
Mit Ihrer so geäußerten Anschauung zu Qualität von kleinen Schulen
erreichen Sie vor allem eines: Sie sprechen den engagierten
LehrerInnen der Landschulen gehörig die Kompetenz zur Gestaltung
wertvoller Pädagogik und Organisation des Schulalltags ab!
Sie fragten in Ihrer Rede weiter und
suggestiv, „sind 15/20 Kinder pro Klasse zu viel? „
Zur Ihrer Frage fehlt der Kontext, denn
in der Debatte um Grundschulen geht es eben nicht darum zu klären,
ob Lernen mit 15/20 Kindern in einer Klasse angemessen ist.
Es geht darum, dass Schulen geschlossen
werden sollen, NUR weil sie von weniger als 15/20 Kindern pro Klasse
besucht werden! Mit welchem Recht? Mit keinem, sondern mit
verordnetem Sparzwang, von dem Sie denken, dass er bei den
Grundschulen leicht umzusetzen sei!?
Nebenbei bemerkt: eine
Wirtschaftlichkeitsrechnung zur Problematik wurde bis zum heutigen
Tag nicht vorgelegt! Warum? Weil das Kultusministerium keine hat!?
Weil darin stehen würde, was auch andere schon berechnet haben,
nämlich ein geringes Einsparungspotenzial, welches massenhafte
Schulschließungen keinesfalls rechtfertigt!? Müssen es tatsächlich
die Belange der Kleinen sein, an denen Sie mit Sparabsichten
experimentieren?
Um doch noch einmal auf Erlebtes aus
der Kindheit zurückzugreifen: auf Schulhof und Spielplatz galt immer
der Kodex: man „vergreift“ sich als Großer nicht an den Kleinen,
soll heißen, den Kleinen tut man nichts „Schlechtes“, nichts
Gemeines, nichts, was sie benachteiligt. Diese Verhaltensregel vom
Spielplatz prägt manche Menschen bis ins Erwachsenenalter.
In der aktuellen Debatte um die
Erhaltung von Grundschulen auf dem Land muss es auch darum gehen,
dass mit Wegfall der Schule in Wohnortnähe ein bzw. DER
gesellschaftliche Orientierungspunkt für Kinder nicht mehr vorhanden
sein wird.
Die Kinder „lernen und erfahren“
dann nicht mehr in ihrem sozialen Gefüge, wodurch sie
erwiesenermaßen die Bindung an die unmittelbare Gesellschaft
verlieren. Sie gehen „irgendwo“ zur Schule und verbringen
„irgendwo“ die meiste Zeit des Tages, nicht aber in ihrem
persönlichen Lebensumfeld und nicht ihrem altergemäßen
Erkundungsradius entsprechend. In diesem wichtigen
Entwicklungsstadium Grundschulalter, in dem soziale Kompetenz
entscheidend geprägt wird und sich die Kinder verstärkt mit ihrer
Umwelt auseinandersetzen und von ihr lernen, sollen diese wichtigen
Erfahrungen durch lange Busfahrten und die räumliche Distanz zum
Wohnort ausgebremst und Ihren Sparmaßnahmen geopfert werden!? Auch
hier meine Frage: mit welchem Recht verlangen Sie diese Opfer?
In den allermeisten
Ortschaften/Gemeinden ist die Schule der Mittelpunkt. Vieles an
Initiative und gesellschaftlichem Leben auf dem Dorf findet um und
mit der Schule statt.
Verlieren die Orte die Schule,
verlieren sie gleichzeitig ihren gesellschaftlichen Anker, verlieren
die Dörfer an Attraktivität für den Zuzug junger Familien,
verlieren sie ihren wirtschaftlichen Anreiz für
Unternehmen…verlieren, verlieren, verlieren! Gibt es in
Sachsen-Anhalt nicht schon zu viele dieser Orte?! Sie kennen sie doch
sicher auch, diese unfreiwillig öden Ortschaften, die bereits viel
verloren haben und mit ihrer Schule gestorben sind?!
Zurück zu Ihrer Rede:
Es folgten nun Aussagen, wie: „auch
wenn das dem Herrn aus der Schweiz nicht gefallen wird“.
Dazu habe ich nur eines zu bemerken:
gegenüber einem 62 jährigen ehemaligen Lehrer (aus der Schweiz
stammend, im Einetal, Sachsen-Anhalt/ Deutschland lebend), der sich
seit einem guten Jahr für Eltern, Kinder und für eine vernünftige
und wertvolle Gestaltung von Schule auf dem Land einsetzt, der als
politischer Mensch in dem Bundesland aktiv ist und dort gestalten
möchte, für das Sie sich politisch verantworten, ist diese
arrogante Ansprache absolut überflüssig, deplatziert und taktlos!
Das was Sie zu sagen hatten, gefiel
nicht nur ihm nicht, sondern gefiel auch den wartenden und hoffenden
Demonstranten in Magdeburg und an den anderen protestierenden
Schulstandorten nicht.
Im
Übrigen hat der „Herr aus der Schweiz“ einen Namen, dessen man
sich bedienen kann.
Er
heißt Walter
Helbling.
In ähnlicher Art machen Sie weiter,
indem Sie Privates zu einem weiteren Aktivisten für die
Grundschulbelange, zu Heinz-Josef Sprengkamp, „aus dem Hut
zaubern“, um seine politische Kompetenz in Frage zu stellen!?
Sie „schauen durchs Schlüsselloch,
um andere Leute klein aussehen zu lassen“ und verwenden das
öffentlich!? Im Landtag!? Mehr als fragwürdig, Ihre Art auf
politisches Engagement der Bürger Sachsen-Anhalts einzugehen!?
Ihre Verständnisbekundungen für das
Anliegen der protestierenden Eltern sind somit nicht authentisch und
daher verzichtbar.
Um es auf den Punkt zu bringen: das,
was ich Ihren Worten und auch Ihrem Handeln entnehmen kann, ist
Ignoranz und Überheblichkeit gegenüber den Belangen der bedrohten
Grundschulstandorte und gegenüber den Bürgern, die sich engagieren.
Dies wiederum ist etwas, was mir an
Ihnen als Politikerin absolut nicht gefällt und es ist zu
vermuten, dass ich damit nicht allein stehe.
Für mich als Engagierte für die
Grundschulen auf dem Land und besonders für mich als Wählerin ist
damit Ihre politische Kompetenz und Verantwortung geklärt.
Sie reiht sich nun leider doch in die
Ihrer Kollegen Bullerjahn und Dorgerloh ein.
Ich hatte ehrlich mehr erwartet von
einer sozialdemokratischen Politikerin. Sie selbst sagten im Landtag
noch, man könne das auch…viel erwarten von der SPD. Das was sie
liefert ist jedoch enttäuschend!
Ich persönlich verzichte künftig
darauf, Politik mit Ihnen, Politik mit der SPD zu ermöglichen.
Keine Stimme für Schulschließer!
Mit freundlichen Grüßen
Babette Fischer
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