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Offener Brief an die SPD- Landesvorsitzende Katrin Budde


Ihr Redebeitrag als SPD-Fraktionsvorsitzende zu TOP 19 - Grundschulen auf dem Lande eine Chance geben - in der Landtagssitzung vom 27. März 2014

Sehr geehrte Frau Budde,

ich (als für Grundschulen auf dem Land engagierte Mutter) hatte am 27.03.14 im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Demonstration zum Erhalt der Grundschulen auf dem Land Gelegenheit, als Gast der Landtagssitzung beizuwohnen - eine Premiere für mich! Der erste Redebeitrag, den ich hören konnte, war der Ihre.
Ich nutze heute die Möglichkeit des Offenen Briefes, um mich zum Inhalt und der Wirkung zu äußern.

Gleich zu Beginn Ihrer Rede mühten Sie sich, das zum wiederholten Male vorgebrachte Anliegen der Fraktion DIE LINKE, Schulen auf dem Land eine Chance zu geben („Schulschließungsmoratorium“), zu beantworten - mit einer hier von mir vereinfacht dargestellten Formel: Ich mache noch lange nicht das, was du sagst, denn du darfst hier nicht mitspielen!
Solche Reaktionen kenne ich - aus meiner Kindheit und aus der meines Sohnes. Aber aus berufenem Munde einer sozialdemokratischen Politikerin beim Thema Bildung?! Enttäuschend!

Was ich weiter hörte, waren u.a. Formulierungen wie: „die Eltern wollen, dass es daneben ist“. Sie meinen damit, wir Eltern würden wollen, dass sich die Schule in direkter Nachbarschaft zum Wohnhaus befindet!? Wollen wir nicht, denn die Ortschaften, in denen bzw. deren Ortsteilen wir leben heißen Siersleben, Wippra, Werben, Beesenstedt, Zscherben, Rieder, Hamersleben, Wetterzeube, Stolberg, Steutz, Sayda, Klostermansfeld usw., aber sie heißen nicht Wolkenkuckucksheim! Wir erwarten nichts Unmögliches.

Gleich im Folgenden widersprechen Sie Ihrer Ansicht, indem Sie festhalten, dass bereits heute für 90 % der Eltern „das schon nicht so ist“…also das beschauliche Leben mit der Schule - zu erreichen in warmen Pantoffeln. Damit haben Sie gewiss Recht.
Wir gehören tatsächlich zu ganz großen Teilen bereits zu den Eltern, deren Kinder schon jetzt einiges an Zeit im Bus verbringen. Aber ortsnahe Beschulung zu ermöglichen bzw. „das bestehende Schulnetz im Land zu sichern“ (Koalitionsvertrag) ist eben doch etwas anderes, als das was Sie aktuell durchsetzen wollen.

Wogegen wir Eltern uns mit unseren Protesten u.a. wehren ist, dass unsere Kinder im Grundschulalter noch mehr Zeit im Bus verbringen müssen, um noch weitere Wege zu den Schulen zurückzulegen bzw. dass noch mehr Kinder auf diese zeitraubenden, nutzlosen Reisen geschickt werden!
An der Stelle soll noch einmal deutlich gesagt werden, dass es sich hier um KINDER im Alter von 6-11 Jahren handelt.
Diese „Herumkutscherei“ widerspricht in gehörigem Maße unserem Verständnis und unserer Verantwortung für Erziehung und Fürsorge gegenüber unseren Kindern! Diese Pflichten tragen in erster Linie wir Eltern! Anstatt uns in diesen Aufgaben zu unterstützen, beschränken Sie uns in der Wahrnehmung unserer Aufgaben und Rechte mit den Auswirkungen von Rechtsgrundlagen wie SEPL-VO 2014!

Hinzu kommt, dass Sie diese „busfahrenden“ Kinder des Rechts und der Möglichkeiten berauben, mit gleichen Bildungschancen aufzuwachsen, wie altersgleiche Kinder anderer Regionen - weil unsere Kinder anderswo, nämlich auf dem Land leben!
Genau das ist die Stelle, an der Bildung auf dem Land an Qualität verliert – durch Zeitverschwendung in Form von Busfahrten! Die Bildungsqualität leidet nicht, weil die Schule klein ist und auf dem Land steht! Mit Ihrer so geäußerten Anschauung zu Qualität von kleinen Schulen erreichen Sie vor allem eines: Sie sprechen den engagierten LehrerInnen der Landschulen gehörig die Kompetenz zur Gestaltung wertvoller Pädagogik und Organisation des Schulalltags ab!

Sie fragten in Ihrer Rede weiter und suggestiv, „sind 15/20 Kinder pro Klasse zu viel? „
Zur Ihrer Frage fehlt der Kontext, denn in der Debatte um Grundschulen geht es eben nicht darum zu klären, ob Lernen mit 15/20 Kindern in einer Klasse angemessen ist.
Es geht darum, dass Schulen geschlossen werden sollen, NUR weil sie von weniger als 15/20 Kindern pro Klasse besucht werden! Mit welchem Recht? Mit keinem, sondern mit verordnetem Sparzwang, von dem Sie denken, dass er bei den Grundschulen leicht umzusetzen sei!?
Nebenbei bemerkt: eine Wirtschaftlichkeitsrechnung zur Problematik wurde bis zum heutigen Tag nicht vorgelegt! Warum? Weil das Kultusministerium keine hat!? Weil darin stehen würde, was auch andere schon berechnet haben, nämlich ein geringes Einsparungspotenzial, welches massenhafte Schulschließungen keinesfalls rechtfertigt!? Müssen es tatsächlich die Belange der Kleinen sein, an denen Sie mit Sparabsichten experimentieren?
Um doch noch einmal auf Erlebtes aus der Kindheit zurückzugreifen: auf Schulhof und Spielplatz galt immer der Kodex: man „vergreift“ sich als Großer nicht an den Kleinen, soll heißen, den Kleinen tut man nichts „Schlechtes“, nichts Gemeines, nichts, was sie benachteiligt. Diese Verhaltensregel vom Spielplatz prägt manche Menschen bis ins Erwachsenenalter.

In der aktuellen Debatte um die Erhaltung von Grundschulen auf dem Land muss es auch darum gehen, dass mit Wegfall der Schule in Wohnortnähe ein bzw. DER gesellschaftliche Orientierungspunkt für Kinder nicht mehr vorhanden sein wird.
Die Kinder „lernen und erfahren“ dann nicht mehr in ihrem sozialen Gefüge, wodurch sie erwiesenermaßen die Bindung an die unmittelbare Gesellschaft verlieren. Sie gehen „irgendwo“ zur Schule und verbringen „irgendwo“ die meiste Zeit des Tages, nicht aber in ihrem persönlichen Lebensumfeld und nicht ihrem altergemäßen Erkundungsradius entsprechend. In diesem wichtigen Entwicklungsstadium Grundschulalter, in dem soziale Kompetenz entscheidend geprägt wird und sich die Kinder verstärkt mit ihrer Umwelt auseinandersetzen und von ihr lernen, sollen diese wichtigen Erfahrungen durch lange Busfahrten und die räumliche Distanz zum Wohnort ausgebremst und Ihren Sparmaßnahmen geopfert werden!? Auch hier meine Frage: mit welchem Recht verlangen Sie diese Opfer?

In den allermeisten Ortschaften/Gemeinden ist die Schule der Mittelpunkt. Vieles an Initiative und gesellschaftlichem Leben auf dem Dorf findet um und mit der Schule statt.
Verlieren die Orte die Schule, verlieren sie gleichzeitig ihren gesellschaftlichen Anker, verlieren die Dörfer an Attraktivität für den Zuzug junger Familien, verlieren sie ihren wirtschaftlichen Anreiz für Unternehmen…verlieren, verlieren, verlieren! Gibt es in Sachsen-Anhalt nicht schon zu viele dieser Orte?! Sie kennen sie doch sicher auch, diese unfreiwillig öden Ortschaften, die bereits viel verloren haben und mit ihrer Schule gestorben sind?!

Zurück zu Ihrer Rede:
Es folgten nun Aussagen, wie: „auch wenn das dem Herrn aus der Schweiz nicht gefallen wird“.
Dazu habe ich nur eines zu bemerken: gegenüber einem 62 jährigen ehemaligen Lehrer (aus der Schweiz stammend, im Einetal, Sachsen-Anhalt/ Deutschland lebend), der sich seit einem guten Jahr für Eltern, Kinder und für eine vernünftige und wertvolle Gestaltung von Schule auf dem Land einsetzt, der als politischer Mensch in dem Bundesland aktiv ist und dort gestalten möchte, für das Sie sich politisch verantworten, ist diese arrogante Ansprache absolut überflüssig, deplatziert und taktlos!
Das was Sie zu sagen hatten, gefiel nicht nur ihm nicht, sondern gefiel auch den wartenden und hoffenden Demonstranten in Magdeburg und an den anderen protestierenden Schulstandorten nicht.
Im Übrigen hat der „Herr aus der Schweiz“ einen Namen, dessen man sich bedienen kann.
Er heißt Walter Helbling.

In ähnlicher Art machen Sie weiter, indem Sie Privates zu einem weiteren Aktivisten für die Grundschulbelange, zu Heinz-Josef Sprengkamp, „aus dem Hut zaubern“, um seine politische Kompetenz in Frage zu stellen!?
Sie „schauen durchs Schlüsselloch, um andere Leute klein aussehen zu lassen“ und verwenden das öffentlich!? Im Landtag!? Mehr als fragwürdig, Ihre Art auf politisches Engagement der Bürger Sachsen-Anhalts einzugehen!?
Ihre Verständnisbekundungen für das Anliegen der protestierenden Eltern sind somit nicht authentisch und daher verzichtbar.

Um es auf den Punkt zu bringen: das, was ich Ihren Worten und auch Ihrem Handeln entnehmen kann, ist Ignoranz und Überheblichkeit gegenüber den Belangen der bedrohten Grundschulstandorte und gegenüber den Bürgern, die sich engagieren.
Dies wiederum ist etwas, was mir an Ihnen als Politikerin absolut nicht gefällt und es ist zu vermuten, dass ich damit nicht allein stehe.

Für mich als Engagierte für die Grundschulen auf dem Land und besonders für mich als Wählerin ist damit Ihre politische Kompetenz und Verantwortung geklärt.
Sie reiht sich nun leider doch in die Ihrer Kollegen Bullerjahn und Dorgerloh ein.

Ich hatte ehrlich mehr erwartet von einer sozialdemokratischen Politikerin. Sie selbst sagten im Landtag noch, man könne das auch…viel erwarten von der SPD. Das was sie liefert ist jedoch enttäuschend!
Ich persönlich verzichte künftig darauf, Politik mit Ihnen, Politik mit der SPD zu ermöglichen.

Keine Stimme für Schulschließer!

Mit freundlichen Grüßen
Babette Fischer


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