Direkt zum Hauptbereich

ZdlR(11): Tourismus im ländlichen Raum



Wir haben in den vorangegangenen Beiträgen dargelegt, dass viele Faktoren Einfluss darauf haben, wie sich ländliche Räume entwickeln können. Dabei hatten wir den Fokus besonders auf den Ortsteilen, den Orten also, welche bis 2010 eigenständige Gemeinden waren. Ähnlich wie beim Thema Grundschulnetz verhält es sich mit der Entwicklung oder dem Ausbau von Tourismuskonzepten. Das schönste Papier ist wertlos und nicht umsetzbar, wenn wichtige Rahmenbedingungen nicht erfüllt sind, oder sich verändern. Das Problem dabei: Oft ist der Auslöser eine Einzemassnahme, in ihrer gesamtwirtschaftlichen Auswirkung nicht geprüft, welche dann eine Kettenreaktion auslöst.


Fallbeispiel Wippertal/Ostharz

Ein wunderschönes Tal, tief in den Ostharz eingeschnitten mit einer Reihe von Dörfern, welche seit 1920 mit der Regionalbahn Wipperliese direkt verbunden waren. Sie bediente die Strecke Klostermansfeld-Wippra, eine Strecke von 22 Kilometern und war das schnellste und zuverlässigste Verkehrsmittel für die Talschaft. Die Wipperliese war insbesondere auch Beförderungsmittel für die Sekundarschüler und Gymnasiasten aus dem Tal, für die Schulen der Umgebung für Tagesausflüge und im Sommer beliebtes Verkehrsmittel für Wanderer /Wandergruppen  und Familien. Die Frequenz war mittelprächtig, ein gutes Regionalkonzept vorausgesetzt, entwicklungsfähig.

Freiluftbühne Vatterode
Vatteröder-Teich
In der DDR-Zeit war vor allem der Vatteröder-Teich ein beliebtes Naherholungsgebiet, wo auch auf
einer imposanten Open-Air-Bühne tolle Veranstaltungen für tausende von Menschen stattfanden. Zugleich gabe es eine Pioniereisenbahn (welche dieses Jahr wieder in Betrieb gehen soll), sowie die Traditionsbrauerei in Wippra. In neuerer Zeit dazugekommen sind Sommerrodelbahn und Kletterpark ind Wippra, die Brauerei Wippra als Traditions- und Schaubrauerei, diverse kulturelle und gastronomische Angebote in den Dörfern. So, wie es eben auch andernorts um viele andere tolle Einrichtungen bestellt ist.


Kurzdarstellung eines Domino-Effektes:

  • Ende 2013 wird im Kreistag der Schulentwicklungsplan nach den  neuen Vorgabend des Kultusministeriums aufgegleist. Dabei fällt der Entscheid, dass die Sekundarschüler aus Wippra künftig nach Sangerhausen in die Sekundarschule zu gehen hätten. (Weitsichtige Kreistags-Vertreter warnten schon damals:"Damit versetzen Sie der Wipperliese den Todesstoss, das sind Sie sich bewusst?"
  • Sommer 2014: Politischer Streit um die Tatsache, dass das Finanzministerium die massiv gestiegenen Kosten für Schülerbeförderung wegen Schulschließungen im Totalbetrag von über 30 Mio € dem Nasa-Budget-Schienenverkehr entnehmen will.   Die Nasa reagiert darauf mit der Ankündigung, somit kämen Bahnnebenstrecken auf den Prüfstand, drei davon würden voraussichtlich geschlossen, darunter die Wipperliese.
  • Kündigung der Strecke Klostermansfeld-Wippra, obwohl 6 Monate zuvor ein Vertrag bis 2018 abgeschlossen wurde.
  • Massive Proteste aus dem Wippertal: Eine erste Analye einer Initiativgruppe ergab, dass die Wipperliese bis Ende 2014 faktisch losgekoppelt vom öffentlichen Verkehr (Fahrpläne beachten!) das Wippertal rauf und runterfuhr. Keine Anbindung in den Harz, und in Klostermansfeld NUR Anschluss von oder nach Magdeburg. In oder aus Richtung Sangerhausen-Erfurt Umsteigezeiten von 45 Min. und 55 Minuten. Woher also sollten denn Gäste kommen?
  • Frühjahr 2015: Entscheid CDU/SPD, dass die Wipperliese für 2 Jahre als Tourismusbahn am Wochenende weiter fahren könne und dann neu entschieden werden. Linke, Grüne und Teile der SPD hatten gefordert, dass der Vertrag eingehalten werde, die Bahn bis 2018 weiter fahre und in dieser Zeit auf Grund der Entwicklung der Fahrgastzahlen entschieden werde. 
  • Auflagen an die "Wochenendbahn":Voraussetzung sei ein durch den Landkreis zu erarbeitendes Tourismuskonzept "für die Wipperliese", welche vom Lande bewilligt und auf Umsetzung überprüft werde. (Dazu: Der Landkreis Mansfeld Südharz hatte bis Ende 2014 nicht mal ein Tourismus-Marketing, nun also Erarbeitung UND Umsetzung (mit welchen Zielvorgaben?) innerhalb von zwei Jahren! Politischer Aktionismus ohne irgendwelche Substanz - alle vernünftigen konzeptionellen Planungsschritte krass missachtend und in einem Zeitfenster gefordert, welches zeitlich nie und nimmer perspektivische Erfolge bringen kann. Verkürzt: Politisch geefordert wird eine Wipperliese-Füll-Konzept ohne dass ein regionales Tourismuskonzept vorliegt. Worin besteht der Wert für die Region bei dieser Forderung?

Fazit:

  • Wippertal mit seinen Dörfern und Einwohnern ist verkehrstechnisch abgekoppelt. Der Ersatz-Busverkehr ist weder für Einwohner noch Touristen eine Alternative, da dünn gestrickt und mit enormem Zeitaufwand verbunden. Das bedeutet? Privatauto! Auch für potentielle Touristen! Wie bitte soll jetzt Wandertourismus vermarktet werden? 
  • Der Probe-Wochenendverkehr schränkt die touristische Werbung konzeptionell ein und reduziert sich auf Events. Dazu wiederum fehlen die Infrastrukturen (Zustand Vatteröder-Teich), und die weitere  Harzanbindung, Erreichbarkeit Talsperre Wippra etc.
  • Weiterhin bleibt das Wippertal (dem man touristisches Potential nachsagt), von einer effizienten Anbindung mit ÖPNV in den Harz ausgeschlossen. Ebenso das angrenzende Einetal und das Selketal. Es gibt keine Verknüpfung.
  • Anstatt in Ruhe und strategisch abgestimmt zu handeln, wird aus kurzfristigen  und partikulären Überlegungen (Budgestreit um Schülerbeförderung) massivst in die Infrastruktur und Entwicklungsmöglichkeit einer ganzen Region eingegriffen. Der Schaden ist um ein Mehrfaches höher, als das, was eine einzige Fachstelle mit der Einstellung der Wipperliese eingespart hat. Oder: Kleine Ursache, große Wirkung! Zum Nachteil des ländlichen Raumes. Strukturabbau im ländlichen Raum.

Anders angedacht:

Berücksichtigt man die vorangegangenen Beiträge und Argumente, so kommt man zum Schluss:
  • MIT einem Tourismuskonzept, einer ehrlich präsentierten Infrastruktur und Werbung hat das Wippertal für Urlauber durchaus seinen Reiz. Es ist für Familien und Wanderer wunderschön. Sei es als Tagesgäste oder Feriengäste, welche im benachbarten Dankerode oder Neudorf (Harzgerode) Wochenurlaub machen oder Camper stehen haben, oder Familien in Ferienwohnungen oder Pensionen. Aber nur, wenn sie nicht in einer Mausefalle sitzen bleiben!
  • Da die Harzregion schon mit ihren Schmalspurbahnen eine ganz bestimmte Zielgruppe anspricht, müssten eigentlich Wipperliese und Mansfeld-Bergwerksbahn in dieses Konzept eingebunden sein, auch verkehrstechnisch.

Dies planerisch umzusetzen und mit ersten Maßnahmen einzuleiten benötigt 2 Jahre. Im Laufe weiterer 2 Jahre können sich erste Trends oder eben Trendwenden feststellen lassen. Das bedeutet: 2018! Das sind Zeitfenster jeglicher Tourismusplanung. Alle anders lautenden Forderungen sind politische Schikane mit dem Ziel, Protest aus dem Raume zu nehmen, um zwei Jahre später die Schließung doch umzusetzen, weil unrealistische Forderungen nicht umgesetzt werden konnten (!!)

Wipperliese
Mansfelder Bergwerksbahn
So könnte ein derartiges Leitkonzept ausschauen, mit welchem touristische Entwicklung im ländlichen Raum stattfinden kann. Aufbauend auf den Gegebenheiten vor Ort. Egal in welcher Region mit touristischen Ambitionen Sie als Leser/in leben, Vieles wird Ihnen bekannt vorkommen, wenn Sie die Ortsnamen durch Orte Ihrer Region ersetzen....

Damit sind wir mit unseren Beiträgen zum Thema Zukunft des Ländlichen Raumes durch. Der letzte Titel der Liste lautet: Koalitionsvertrag, WER tritt WO auf die Bremse? Dazu äußern wir uns erst, nachdem der Koalitionsvertrag bekannt ist.

Aber es ist klar: Wir vom Aktionsbündnis Grundschulen vor Ort erwarten angesichts des Desasters 2011-16 eine klare Zäsur mit einem überprüfbaren Bekenntnis zur Zukunft des ländlichen Raumes.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Sprechen wir mal "von Schule" - Klassenzimmer: Wartsaal oder "die zweite Lehrkraft" ?

Wir befassen uns heute mit  den Räumen in welchen Kinder und Jugendliche im Alter von 6 - 16  mehr als die Hälfte ihres Lebens verbringen. Es sind zwei Punkte, welche im Vordergrund stehen: Nutzung des Raumes  und Möblierung. Der Titel deutet es schon an, hier geht es um die Nutzung. Das Bild links zeigt ein Klassenzimmer um 1900 herum.   Der dazugehörige Beitrag ist sehr lesenswert. Schule um 1900 eben. "Und auch aus diesen Jungs und Mädchen ist was geworden", höre ich bereits. Ja, das ist so. Das Bild rechts oben und die Bilder dieses Abschnittes zeigen Klassenzimmer von heute. In den meisten Grundschulen sehen wir nach wie vor die klassische Bestuhlung und sie besagt etwas: Gängigste Unterrichtsmethodik ist Frontalunterricht. Dies wiederum bedeutet für die Schüler: Viel sitzen, viel zuhören, wenig Eigenaktivität und Bewegung. Ja, es gibt auch andere Klassenraumbestuhlungen, sie sind lobend zu erwähnen, denn sie machen auf den ersten Blick klar, dass Unterric

Schülerbeförderung: 75 Minuten für 7-Jährige ! Wo bleibt eigentlich das Jugendamt?

Das Thema Schulschließungen produziert auf einer anderen Ebene Probleme, welche das Kultusministerium kaum und das Finanzministerium offenbar schon gar nicht interessieren. Es geht dabei einerseits um entstehende Kosten für den Schülertransport und zugleich um die Frage: Wo liegt die Grenze der Zumutbarkeit von Schülertransporten für Grundschüler? Dazu hat man in den letzten Tagen mehr erfahren: Kosten der Schülertransporte: Dazu Infos aus dem Kreise Jessen. Die Transportkosten stiegen von 4,26 Mio € im Jahre 2008 auf 5,45 Mio im Jahre 2011. Die durchschnittliche Kilometerleistung für einen Weg/Schüler betrug 15,61 Kilometer (2011) und wird mit den begonnenen Schulschließungen massiv zunehmen. ( Quelle MZ ) Diese Millionen scheinen irgendwo vom Himmel zu regnen und das Haushaltsbudget des Landes Sachsen-Anhalts nicht zu belasten. Hier spricht man nämlich nur vom enormen Sparpotential, ohne genauere Zahlen zu nennen. 75 Minuten von Tür zu Tür Zumindest der Landkreis Mansfeld S

Die Rechte unserer Kinder (1)

http://www.jugenddelegierte.de Nachdem wir inzwischen bis zum Gehtnichtmehr dargestellt haben, dass die Schwerpunkte der gegenwärtigen Planungen des Finanz- und Kultusministeriums ausschließlich finanzielle und personelle Gründe haben, möchten wir in diesem und den folgenden drei Beiträgen die Kinder in den Fokus stellen  Sie sind es, welche am Unmittelbarsten betroffen sind und - das behaupten wir jetzt - entsprechend Schaden nehmen oder benachteiligt werden Die Uno-Kinderrechts-Konvention von 1989  legt die Kinderrechte in 10 Punkten fest:  Drei davon möchten wir in diesem Zusammenhang herausgreifen: das Recht auf Gesundheit das Recht auf Bildung das Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung 1. Recht auf Gesundheit Dazu eine Wegleitung zum Schlafbedarf von 6-11-Jährigen Für 5-6-Jährige beträgt dieser 11,5 Stunden, 7-11-Jährige liegt der Wer bei 11 Stunden. Daraus ergibt sich ein handfestes Problem für Eltern, deren Kinder bereits um 05:30 aus den Federn müssen, u